zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Biathleten

Loipenpazifist mit Knarre

Der Homo loipicus militaris kennt nur einen Freund im Leben: seine Knarre. Die nimmt er sogar mit ans Bett, wenn nicht gar ins, und er ist bereit, langwierige Auseinandersetzungen zu führen, wenn ihn irgendjemand aus läppischen sogenannten „Sicherheitsgründen“ von seinem geliebten Schießprügel trennen will. Zuletzt bekamen seine Hartnäckigkeit die Behörden in Utah zu spüren. Ausgerechnet jener Staat, der Waffen sogar im Parlament erlaubt – eine ballerhafte Liberalität, die zum Beispiel in Japan oder im englischen Unterhaus garantiert tödlich wäre und selbst im eigentlich sehr kriegsfreudigen deutschen Bundestag undenkbar – wollte die Biathleten temporär entwaffnen. Da hatte man die Rechnung aber ohne den Homo loipicus militaris gemacht. Schließlich widmet sich dieser zumindest in seiner sportlichen Inkarnation ausschließlich der friedlichen Nutzung von Kimme und Korn, stellt somit sozusagen den Oberpazifisten in der Gilde der Ballermänner dar. Kompromisslos setzte er seine olympische Ganztagsbewaffnung schließlich durch.

Zum Bellizisten wird der loipelnde Pazifist allerdings ganz schnell, sobald er seinen Nebenjob ausübt. Der erste vom Homo loipicus militaris absolvierte Wettstreit ist aus dem Jahre 1767 überliefert und seine Teilnehmer waren schwedische und norwegische Grenztruppen. Erstaunlicherweise sollen alle überlebt haben. Bei den Olympischen Winterspielen 1924 in Chamonix ging der Homo loipicus militaris noch als „Militärpatrouille“ in die Spur und jede Einheit musste aus einem Offizier, einem Unteroffizier und zwei Soldaten bestehen. Das ist heute kaum anders, auch wenn nicht mehr auf Ballons, sondern auf simple Scheiben geballert wird.

Ohne sein Gewehr geht der Biathlet gar nirgends hin, weshalb er auch meist irgendeiner Armee oder Polizeitruppe angehört. 90 Prozent der Vertreter dieser Sportlerart sind dort tätig, schätzt Mark Goodson, Chef des britischen Verbandes. Im Bedarfsfall kann der Homo loipicus militaris also schnell von der Loipe nach Afghanistan, Irak oder auch Somalia abkommandiert werden, wie es den amerikanischen Biathleten bei Olympia droht. Diese erklären natürlich allesamt, dass der patriotische Einsatz für Exxon und Enron ihnen selbstredend hundertmal wichtiger wäre als olympische Ehren. Ehrlicherweise muss gesagt werden, dass ihre Chancen, irgendetwas zu gewinnen, auf den Strecken in Soldier Hollow (sic!) auch nicht größer sind als im Lande der Mullahs und Saddams.

Der Wettkampf selbst ist eine Art Mensch-ärgere-dich-nicht mit Pulverdampf. Voll gepumpt mit Adrenalin kommt der Homo loipicus militaris als Erster zum letzten Schießen des Verfolgungsrennens, wirft noch einen Blick zurück auf die weit abgeschlagene Konkurrenz und muss sich beherrschen, nicht triumphierend seiner extra angereisten Familie auf der Tribüne zuzuwinken. Dann reißt er die Büchse von der Schulter wie weiland Old Shatterhand, das Adrenalin pumpt im Leib, bis die Ohren sausen – piff, paff, puff, drei Strafrunden, achter Platz, danke schön sagt der Sieger, der meist Fischer heißt oder Luck, neuerdings auch gern Poirée.

Besonders prekär ist die Situation in der Staffel, wo Schlussläuferinnen und -läufer gern vom so genannten Greiner-Petter-Memm-Syndrom befallen werden, ein noch unzureichend erforschtes Flattern der Nerven, das mit ausgiebigen Weinkrämpfen einhergeht. Hervorgerufen wird es nach neueren Untersuchungen vom Wissen, dass nicht nur ein paar tausend Augenpaare auf den zitternden Finger am Abzug gerichtet sind, sondern auch die von drei erinnyenhaften Teamkolleginnen, die zuvor gelaufen sind wie die Schneehasen, geschossen haben wie die Wilddiebe und fortan allnächtlich in diversen Albträumen auftauchen werden, wenn es auch nur eine Kugel wagt, das Ziel zu verfehlen.

Wissenschaftliche Mitarbeit:

MATTI LIESKE

Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz (44) ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen