Szenetyp schätzt Gentleman

Das gute Verhältnis untereinander ist bei der Europameisterschaft einer der Hauptfaktoren für die starke Leistung der deutschen Handballer, die am Montag mit 19:18 auch gegen Spanien gewannen

aus Västeras ANKE BARNKOTHE

Selten geht es heutzutage im bezahlten Sport, in dem mittlerweile Millionensummen bewegt werden, noch freundschaftlich zu. Im Fußball schon gar nicht, aber auch in Deutschlands Spielsportart Nummer zwei, dem Handball, hört, geht es um Geld, Ehre und Punkte, die Freundschaft meistens auf. Anders bei der Handball-Nationalmannschaft. Zwar hat der deutsche Verband das Ausschütten von Prämien nach internationalen Erfolgen längst abgeschafft, sodass es bei der laufenden Europameisterschaft in Schweden nichts Bares zu gewinnen gibt. Dass der Gewinn einer Medaille aber Geld wert ist, denkt man an die mittel- und langfristige Begeisterung der Fans, vor allem aber der Sponsoren, dessen sind sich die Handballer vollkommen bewusst.

Dennoch ist die Hauptantriebskraft des Teams um den wider erstarkten Lemgoer Daniel Stephan weder Cash noch Honor. Wenngleich Spieler wie Markus Baur und Christian Schwarzer, auf ihre Motivation hin befragt, schon Sätze wie „es ist eine Ehre, für Deutschland zu spielen“ äußern. Einer der ausschlaggebenden Faktoren für den bisherigen Erfolg bei der EM – besonders hervorzuheben der 19:18-Sieg im ersten Hauptrundenspiel gegen Spanien am Montag – ist tatsächlich: Freundschaft. Die Jungs mögen sich. Da teilen so unterschiedliche Charaktere wie der Szenetyp Stefan Kretzschmar und der Gentleman Christian Schwarzer ein Zimmer, haben über den Handball hinaus jede Menge Spaß miteinander und streiten sich bestenfalls über den extraordinären Musikgeschmack des Herrn Kretzschmar. Das aber auch nur dann, wenn es mit der Hotelzimmerbeschallung überhand nimmt.

Ein weiteres Beispiel für den freundschaftlichen Umgang miteinander ist die Integration des 21-jährigen Nationalmannschaftsneulings Pascal Hens. Tut dieser sich neben dem Spielfeld schon mal dadurch hervor, dass er bei einem DSF-Kurzinterview den Hauptteil seiner Redezeit damit verbringt, Freunde und Verwandte aus dem Hessischen zu grüßen, erfährt er bei der EM von seinen Teamkollegen jedwede Unterstützung, die er für eine positive sportliche und persönliche Entwicklung braucht.

Die schönste Geschichte in der Harmoniestory der deutschen Handballer ist aber die von Daniel Stephan und Markus Baur. Normalerweise müsste zwischen den beiden zentralen Spielgestaltern der Nationalmannschaft ein ausgemachter Wettbewerb herrschen. Als Kopf der Mannschaft wird gemeinhin immer nur einer bezeichnet. Aber auch zwischen ihnen ist das gute Verhältnis nicht aufgesetzt, sondern echt. Was noch bemerkenswerter ist, da beide diese freundschaftliche Konkurrenz seit der laufenden Saison auch beim TBV Lemgo leben.

Der 31-jährige Markus Baur, der aus Wetzlar kam, freut sich sehr über das gute Verhältnis zu dem bereits seit 1994 für Lemgo spielenden Stephan, hatte allerdings auch nichts anderes erwartet: „Daniel war der erste von den Lemgoern, die mich letztes Jahr gefragt haben, ob ich mir vorstellen könnte zu wechseln.“ Auch sah Baur von Anfang an, dass es genug Platz für beide gibt. „Wir haben ja in Lemgo nur vier wirkliche Rückraumspieler, und da Daniel auch noch ein ausgezeichneter Rückraumlinker ist, war von vornherein klar, dass wir beide genügend Spielanteile kriegen.“ Eine Tatsache, die neben dem derzeitigen Tabellenführer der Bundesliga eben auch der Nationalmannschaft zugute kommt. Und Stephan sagt: „Zwischen uns hat sich in den letzten zwei Jahren wirklich eine Freundschaft entwickelt, es macht Spaß, mit Markus zusammen zu spielen.“ Worauf in seinem Gesicht endlich wieder einmal das unbeschwerte, lange vermisste Lausbubenlächeln erscheint.

Noch mehr Freude dürfte dem 28-Jährigen nämlich bereiten, dass er das verletzungsbedingte Auf und Ab der vergangenen vier Jahre überwunden zu haben scheint. Seine bisherige EM-Leistung belegt dies eindeutig. Wenn die so bleibt und die Jungs sich auch weiterhin lieb haben, könnte es tatsächlich klappen mit der ersten Medaille seit 1998.