strübel & passig
: Schöner sterben

Über das virtuelle Leben wird viel geschrieben. „Life on the screen“ und ähnliche Standardwerke der Internetforschung verweisen schon im Titel auf die Vitalität binärer Biosphären. Dabei steht außer Frage, dass das Netz by default der Vanitas anheim fällt: Flüchtigkeit und Nichtigkeit herrschen allerorten, das kann man selbst der schäbigsten medienwissenschaftlichen Proseminararbeit noch entnehmen. Oder doch zumindest dem Aufstieg und Fall der New Economy.

Trotz dieser eindeutigen Sachlage blieben bislang allerdings die wirklich großen Fragen weitgehend unbeantwortet: Gibt es eine Existenz nach dem Delete? Was passiert mit einem plötzlich abgebrochenen Download? Und: Eine Website, die niemals aufgerufen wird – existiert die überhaupt? Bei Foucault und danach bei Turkle haben wir gelernt, dass jeder von uns viele ist. Was aber passiert, wenn einer von uns keiner mehr ist? Hat man im Netz die Chance, unsterblich zu sein, wenn man das Zeitliche segnet?

Verheißungsvoll erscheint da www.theorderoftime.com/politics/cemetery. Hier werden Websites, die im Tode erstarrt sind – weil der Betreiber der Site oder dessen Interesse an derselben über den Jordan gegangen ist – mumifiziert zur Schau gestellt: eine Art „Körperwelten“ des HTML. Dass den verblichenen Seiten in dieser elysischen Domain tatsächlich ewiges Leben vergönnt sei, darf jedoch bezweifelt werden. Viel wahrscheinlicher geht es dort zu wie auf dem städtischen Friedhof: Irgendwann wird die Ruhestätte neu vermietet und eine schönere Leich’ erntet alle Aufmerksamkeit. So bleibt die virtuelle Ewigkeit ja doch immer eine begrenzte: Stirbt der Inhaber, folgt seine Domain ihm ins Grab.

Ausnahmen von dieser Regel werden wohl nur für Berühmtheiten gemacht. www.leary.com etwa blieb nach dem Tod Timothy Learys fast unverändert. Lediglich ein FAQ und die ins Weltall geschossenen Überreste wurde hinzugefügt – wenig wegweisend für uns Normalsterbliche, die wir unter Flugangst leiden und kaum über geschmackssichere, HTML-fähige Freunde verfügen. Wer Pech hat, bekommt bei www.memoriam.de die komplette Gedenkpackung verpasst, inklusive des Vorwurfs „Warum hast du uns so früh verlassen?“ in pinkfarbener Frakturschrift.

Um derlei zu vermeiden, bleibt uns, die wir selbst im richtigen Leben weder Administratoren- noch Operatorenrechte haben, nach wie vor nur, auf das große Sign-off angemessen vorbereitet zu sein – etwa mit Hilfe des lobenswerten Angebots von www.vintagecoffins.com. Nicht nur bieten sie die buntesten Särge und die schönsten Do-it-yourself-Kisten der nördlichen Hemisphäre an, sie sehen die Sache mit dem Sterben auch nicht halb so finster: „We put the fun back in funeral“, verkünden sie handfest und unbekümmert, und das ist nicht gelogen. Denn so ein Sarg in Form eines Mississippidampfers, der bringt Freude ins triste Nicht-mehr-Dasein.

Ich allerdings hätte es gerne weniger aufwendig, wenn mir der Große Admin dereinst die Nutzerrechte entzieht. Wenn von meinem digitalen Dasein nur noch die 0 bleibt, wenn die Festplatte final formatiert ist, dann möchte ich kein aufwendiges Begräbnis. Man möge stattdessen einfach meine Pixel ins Meer streuen. Und auf dem Gedenkbildschirm soll das zu lesen sein, was mein virtuelles Leben so sehr geprägt hat: „Connection timed out.“ IRA STRÜBEL

ira@textmaschine.de