Die guten alten Jugendforscher

Onlinedatenbanken könnten schon heute Forschungsergebnisse viel besser speichern als herkömmliche Publikationen. Aber gerade wissenschaftliche Institutionen haben in Deutschland immer noch große Hemmungen, diese Technik zu nutzen

von THOMAS PAMPUCH

Im schönen Münchner Stadtteil Au, lieblich an den in ganz Bayern weltbekannten Starkbierhügel Nockherberg geschmiegt, im Schatten der Brauereien Paulaner und Hacker Pschorr liegt das nicht ganz so bekannte, gleichwohl sehr angesehene Deutsche Jugendinstitut – DJI. An die 200 MitarbeiterInnen, die meisten von ihnen wissenschaftlich ausgebildet, betreiben hier „anwendungsbezogene Grundlagenforschung über Kindheit, Jugend, Frauen und Familie sowie Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, die Praxisforschung und Evaluation sowie sozialwissenschaftliche Dienstleistungen für Wissenschaft, Politik und Praxis“.

Nach Müchen muss dafür niemand fahren. So steht es schon seit sieben Jahren auf der Homepage www.dji.de. Die Adresse will Wissenschaftlern, Praktikern, Journalisten, Politikern und sonstigen Interessierten Gelegenheit geben, die Arbeit des Instituts online zu nutzen. So soll es sein; die Wirklichkeit ist bescheidener. Die Website liefert zwar einen ausführlichen Überblick über die zahllosen Forschungsprojekte und Publikationen des DJI, vom „Familiensurvey“ über das „Mentoring für Frauen in Europa“ bis zur Untersuchung über „Fremdenfeindlichkeit-Täterstudien“ und „Delinquenz von Kindern“.

Auffallend ist dabei jedoch, dass bei den wenigsten Projekten – selbst wenn sie schon längst abgeschlossen sind – Ergebnisse vorgelegt werden, und sei es auch nur in Form eines kurzen „Befundes“ wie etwa bei dem Projekt „Alleinsein von Kindern (abgeschlossen 31. 12. 99)“. Es ist, als arbeiteten die Forscher ewiglich und täten sich schwer, auch nur kursorisch von Erfolgen zu künden. Auch wer sich über den derzeit diskutierten 11. Kinder- und Jugendbericht bei dji.de (das Institut hat bei der Erstellung fleißig mitgeholfen) informieren will und dazu die Rubrik „Aktuelles“ anklickt, wird nicht allzu viel erfahren. Mit etwas Glück wird er auf die Seite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, (www.bmfsfj.de) verwiesen – wo dann aber auch nur ein Foto der Ministerin und der Sachverständigen bei der Übergabe des Berichts zu sehen ist. Eine Zusammenfassung oder auch nur eine Meldung über die Ergebnisse des Berichts sucht man vergebens.

Das wirft die Frage auf, wie wissenschaftliche Institute außerhalb der naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächer mit dem Medium Internet umgehen. Halten sie es immer noch für eitel Blendwerk?

Begibt man sich persönlich zum Berg, um bei den Propheten nachzufragen, trifft man auf viel guten Willen, viel zähes Ringen und auf die üblichen Schwierigkeiten einer Institution in der „Modernisierungsfalle“. Auch das DJI hat in den letzten Jahren einen gehörigen Innovationsschub erlebt. Die neuen Technologien haben den Wissenschaftsbetrieb durchgerüttelt. Sichtbares Zeichen dafür ist eine IT-Abteilung, die immerhin vier C-Stellen umfasst. Deren Leiter, Donald Bender, ein promovierter Soziologie und Fachmann für Wissensmanagement, ringt seit Jahren darum, den im DJI versammelten Wissenschaftlern die Segnungen der Moderne nahe zu bringen. Seine Erfahrung formuliert er vornehm als „Trägheit von Wissenschaft“. Der Begriff ist verallgemeinerbar. Nicht nur am DJI ist der Weg der Überzeugung, der Schulung und der Gewöhnung an das Neue lang und mühsam. Eher harmlos sind dabei die bekannten Schrullen wie die jenes Direktors, der sich noch bis vor kurzem jede E-Mail von der Sekretärin ausdrucken ließ. Weit ernster zu nehmen sind die Widerstände der aktiven Forscher selbst. Gerade wenn sie ein neues Gebiet mit modernen Methoden beackern, sind sie selten bereit, sich in die Karten gucken zu lassen oder gar populäre Zusammenfassungen ihrer Forschungen ins Netz zu stellen. Das sind sie nicht gewohnt. „Vielleicht müsste man ihnen das Gehalt sperren, wenn sie das nicht tun“, grübelt Bender.

Popularitätstest

Auch Barbara Keddi, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des DJI, weiß um die Schwierigkeiten, die Forscher zum Gang ins Netz zu animieren. Dennoch: „Das Internet wird neben dem vierteljährlichen DJI-Bulletin und der Fachzeitschrift Diskurs zunehmend wichtiger, zur zweiten Säule der Öffentlichkeitsarbeit.“ Es sei im Übrigen sehr gut geeignet, die Wirkungen der Forschung und die Nachfrage nach ihr zu messen sowie aktuelle Diskussionen zu führen. Bis zu 70 E-Mail-Anfragen erhalte sie inzwischen pro Tag. Das Engagement im Internet hängt für Barbara Keddi im Wesentlichen von den ForscherInnen selbst ab – schon wegen der dezentralen Struktur des Netzes. Sie selbst kann die Projektbetreiber nur immer wieder auffordern, mehr an die Öffentlichkeit zu denken. „Vielleicht aber“, so ihre Hoffnung, „gibt es bald mehr Projekte, die auch den konkreten Auftrag haben, Internetseiten zu machen und nicht nur Publikationen.“

„Die Hast ist die Feindin der Wissenschaft“, pflegte man einst an den Universitäten zu lehren. Zweifellos ist der Aktualitätswahn, den das Internet produziert, nicht jeder Forschung zuträglich. Aber eine „Institution der Politikberatung“ habe auch andere Aufgaben zu erfüllen, findet der Webmaster. Die meisten Meinungen über die Jugend stammen heute von Stammtischen und Parteiversammlungen. „www.dji.de“ könnte sich da ruhig mehr einmischen. Hoffnungsvoll stimmt, dass in den praxisorientierten Projekten unbefangener mit den neuen Möglichkeiten umgegangen wird als bei der Grundlagenforschung. Vielleicht bringt die Nähe zu den Jugendlichen eine größere Nähe zum Internet und zu Computern überhaupt.

Und vielleicht lernen die Jugendforscher dabei sogar etwas von den Erforschten. Zu den Problemen der Menschen mit den Maschinen kommen die der Maschinen mit den Menschen: Technisch wie organisatorisch bedarf es eines großen Aufwands, einen so komplizierten Apparat wie das DJI sinnvoll zu vernetzen und nach außen darzustellen. Um den individuellen Neigungen der einzelnen WissenschaftlerInnen besser zu entsprechen, hat sich Bender seit 2000 für ein „neoliberalistisches Internet-Redaktionssystem“ entschieden, das es jedem einzelnen Projekt überlässt, wie es sich auf der Website darstellt.

Datenbanken

Das hat immerhin dazu geführt, dass einige Projekte ganz wunderbare Seiten zustande gebracht haben. Etwa das Projekt „Internet – außerschulische Lernangebote für Kinder“, dessen Glossare und Orientierungshilfen für Kinderwebsites Eltern, Kindern, Pädagogen wie Forschern Handfestes liefern. Weitere Projekte, die das Internet bewusst nutzen, sind „Praximo – ein innovatives Praxismodell zur beruflichen und sozialen Integration von Jugendlichen“ sowie „Mareg – Maßnahmen gegen rechts“, in dem eine gute Übersicht über alle geförderten Projekte gegen rechts zu finden ist.

Nützlich an diesen Seiten ist vor allem, dass sie ihre Informationen als Datenbank anbieten – ein Lieblingsthema von Bender, der gerade in Santiago de Chile auf einem internationalen Seminar lateinamerikanische Jugendforscher in die Geheimnisse der Verwendung von Datenbanken für die Jugendforschung eingewiesen hat.

Nur diese Erschließungsart von Inhalten gebe eine gewisse Garantie dafür, dass von den Ergebnissen der Forschung nichts verloren geht – was bei den herkömmlichen Publikationen online wie offline nur zu oft der Fall ist. „Wir beginnen gerade damit, Wissen langsam per Intranettechnologie zu sammeln, zu fixieren und langfristig nutzbar zu machen“, sagt Bender. In einer bisher nur intern zugänglichen Datenbank sind etwa fünfzehn „Surveys“ mit insgesamt etwa 3.000 Fragen gespeichert und werden laufend fortgeführt. Auf dieser Basis können dann langfristige Entwicklungen statistisch verfolgt werden. Nur solch ein Wissensmanagement könne für Wissenskontinuität sorgen, die auch kommenden Generationen etwas nützt.

ThoPampuch@aol.com