Schokoriegel für mehr Wind

■ Tony Kolb muss nicht von unvorstellbaren Dingen träumen - er erlebt sie

Die Durchschnittsgeschwindigkeiten ziehen an, die Temperaturen sinken: Die Yachten des Volvo Ocean Race stehen kurz vor dem harten Ritt durch das Südpolarmeer. Heute vormittag hat die illbruck den 50. Grad südlicher Breite an fünfter Stelle liegend gekreuzt und befindet sich in den Screaming Fifties. Der Hamburger Tony Kolb ist der einzige deutsche Teilnehmer, der das Leverkusener Unternehmen auf hoher See repräsentiert. Kurz vor dem Start der vierten Etappe von Auckland nach Rio de Janeiro beantwortete Kolb einige Fragen per e-mail zu seinem Leben an Bord einer (Alb-)Traumyacht.

taz: Kälte, Nässe, Eisberge, kaum Schlaf und alles auf einem kleinen Segelboot im wilden Südpolarmeer. Hört sich nicht gerade traumhaft an.

Toni Kolb: Die Weltumrundung ist ein einziger Traum. Wie sich bereits auf der zweiten Etappe herausgestellt hat, ist das Segeln im Südpolarmeer die beste und aufregendste Segelei, die ich in meiner bisherigen Karriere erlebt habe.

Das müssen Sie erklären.

In den brüllenden Vierzigern und schreienden Fünfzigern, zwischen 40 und 50 Grad südlicher Breite herrschen Bedingungen, die Weltumsegler anziehen, wie ein Magnet. Immer Windstärke sieben, haushohe Wellen und Spitzengeschwindigkeiten von über 30 Knoten (60km/h). Das Abreiten der Wellen bei dieser Geschwindigkeit sind die Highlights der Tour.

Die Wellen, die ihnen als Mann des Vorschiffs beim Segelwechsel ähnlich eines Wasserwerfers in den Rücken krachen, zählen aber wohl weniger zu den Highlights?

Segelwechsel ist mein Job. Der Wasserwerfer ist Teil meines Alltags an Bord und bekommt weiter keine Aufmerksamkeit.

Mehr abschreckende Erlebnisse, die uns Landratten das traumhafte Bild einer Weltumsegelung vermiesen, gibt es hoffentlich nicht.

Klar! Auf der dritten Etappe haben wir kurz nach dem Start in Sydney einen Wirbelsturm aus nächster Nähe erlebt, das war wirklich eine höllische Erfahrung, die ich nie wieder machen möchte.

Was war mit dem Leck auf der dritten Etappe?

Das Inspektionsloch schloss nicht mehr und wir dachten daran, dass das Boot sinken könnte. Glücklicherweise verloren wir nur ein paar Plätze auf unsere Konkurrenten, während ich mit dem Bodenbelag und reichlich Abdichtungsmasse das Leck schließen konnte. Trotzdem waren wir ständig am Wasserschöpfen. Vielleicht um die 50 Liter Wasser in der Stunde. Und das nach sechs Stunden Schicht, wo man unter Deck eigentlich nur noch essen und in die nasse Koje klettern will.

Mit dem Bild vom blasenhändigen Seemann, der mit aller Kraft gegen die Elemente anstemmt, können sie sich also durchaus identifizieren?

Segeln unter diesen extremen Bedingungen fordert auf jeden Fall viele Schwielen und eine Menge Kraft. Es allerdings mit den Elementen aufzunehmen ist mehr eine Herausforderung als der tatsächliche Glaube, sie besiegen zu können. Das ist unmöglich. Es geht deswegen einfach darum, sich so smart wie möglich dadurch zu kämpfen.

Wie smart kann man denn die sich ewig wiederholenden Murmeltiertage und den Gestank ,,von zwölf nassen Hunden“ unter Deck, wie es ein Kollege umschrieb, ertragen?

Das sind die gegebenen Bedingungen, um meinen Traum zu verwirklichen. Ein gutes Zwischenergebnis oder etwa ein Etappensieg sind die wirkungsvollsten Duftsteine und lassen Gerüche und Anstrengungen sofort verfliegen.

Sie haben leicht reden als derjenige, der sich auf dem Mast in 26 Meter Höhe häufig eine frische Brise um die Nase wehen lassen kann.

Durchschnittlich bin ich nur ein- bis zweimal am Tag da oben, also muss auch ich die meiste Zeit an Deck leben und mit meinem Team das Boot pushen. Gestank hin oder her.

Wie teilt man sich die Aufgaben an Bord – gibt es eine Art Tagesablauf?

Wir segeln das Boot mit zwei Wachen. Das bedeutet sechs Jungs segeln und die anderen sechs sind unter Deck, um zu essen, zu schlafen, sich umzuziehen und das Boot unter Deck sauber zu halten. Wir haben drei warme Mahlzeiten am Tag. Immer um sechs Uhr morgens, zwölf Uhr mittags und sechs Uhr abends. Da werden dann die gefriergetrockneten Mahlzeiten gereicht. Leider haben wir nur zwölf verschiedene Gerichte, also gibt es alle vier Tage wieder das gleiche von vorne.

Deswegen kostet ein Schokoriegel auf dem internen illbruck-Schwarzmarkt also hundert Dollar?

Auf der ersten Etappe hatten wir nur wenig Essen dabei und nach einigen Wochen Diät und einem unglaublichen Heißhunger auf Schokolade wurden 100 Dollar für ein Sni-ckers geboten. Rechtzeitig bevor die Schacherei losging, hat mein Teamkollege Ian Moore das Snickers aber über Bord geworfen. Wir steckten in einer Flaute und er opferte den Riegel für den Wind.

Jetzt ist klar, warum Sie gesagt haben, dass sie ihren Kindern lieber Golf als Segeln beibringen wollen.

Diese Aussage habe ich nach 24 Tagen auf See in einer desaströsen körperlichen Verfassung gemacht. Nach ein paar Tagen war das aber vergessen, so dass ich mir nicht mehr so ganz sicher bin, ob meine Kinder mit Golf den richtigen Sport kennen lernen würden. Interview: Oke Göttlich