Ethnische Ökonomie ist auch in Berlin eine Chance

Die türkische „Onkelökonomie“ samt ihren Verbänden beschäftigt langsam auch die Politik. Vietnamesen sind dagegen meist unorganisiert

„In Berlin gibt es 5.500 türkische Unternehmer mit 23.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 3,5 Milliarden Euro,“ Kaya Bahattin, Vorsitzender der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg, präsentiert die stolze Statistik in seinem Büro am Kurfürstendamm, in allerbester Stadtlage.

Nicht Dönerverkauf und -produktion sei das wichtigste Geschäftsfeld, ergänzt er. An erster Stelle stehe das Tourismusgewerbe, gefolgt von der Bauwirtschaft und schließlich dem Lebensmittelgroßhandel. Erst an vierter Stelle stehe das Dönergewerbe. „Unsere Mitgliedsunternehmer sind aber auch in der Kunststoffproduktion oder als Versicherungsvertreter tätig.“

Die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung ist der erste Wirtschaftsverband in der ethnischen Ökonomie, die in Berlin eine immer größere Rolle gespielt. Er wurde 1996 gegründet und kümmert sich um Ausbildungsmöglichkeiten in seinen Mitgliedsunternehmen, um Kontakte zur Politik. Er informiert Türken über Programme zur Existenzgründerhilfe und zur Euroumstellung. Nicht allein türkische Unternehmen gehören dem Verband an, auch namhafte Firmen wie DaimlerCrysler oder Eduard Winter nutzen dieses Netzwerk, das ihnen Kontakte in die Türkei erleichtert.

Der Sozialwissenschaftler Jochen Blaschke weist auf kulturelle Veränderungen hin, die das ethnische Unternehmertum nach Deutschland brachte: Döner und Pizza veränderten die Fast-Food-Kultur, indische Kleidung die Mode und chinesische Einrichtungsgegenstände die Wohnkultur. Zuwanderer haben aber auch spezifische Barrieren beim Weg in die Selbständigkeit, die für viele die einzige Alternative zur Arbeitslosigkeit ist. „Wenn ein Türke landestypische Süßwaren herstellen möchte, benötigt er dazu einen deutschen Bäckermeistertitel, der ihm aber überhaupt nichts nützt,“ so ein Vertreter des Unternehmerverbandes. Weil im Ausland erworbene Ausbildungen nicht anerkannt werden, haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, ihren Nachwuchs zu rekrutieren: Sie dürfen nicht ausbilden, obwohl gerade unter den Zuwandererkindern viele keinen Ausbildungsplatz finden.

„Dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland unter Zuwandern doppelt so hoch ist wie unter Alteingesessenen, hängt möglicherweise auch mit der Handwerksordnung und mit ausländerrechtlichen Hürden beim Weg in die Selbständigkeit zusammen,“ meint Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU). In anderen europäischen Staaten, Luxemburg ausgenommen, seien diese Hürden weniger hoch und die Arbeitslosigkeit der Zuwanderer auch geringer. „Bei uns herrscht immer noch das Denken vor: Die Türken, Italiener und Vietnamesen sind als Arbeiter gekommen, und darum sollten sie gefälligst auch Arbeiter bleiben.“ John kritisiert die rot-grüne Bundesregierung, die in beiden Feldern Verbesserungen versprochen hatte aber wenig tat. „Aus der Änderung der Handwerksordnung ist nichts geworden. Und wenn ein Zuwanderer Unternehmer werden will, geht das oft nur über einen Ausnahmeantrag bei der Ausländerbehörde.“

Auch in der Berliner Landespolitik hat man sich bisher kaum um das ethnische Unternehmertum gekümmert. Erstmals gab es im rot-grünen Übergangssenat ein Werkstattgespräch zum Thema, ein Arbeitskreis wurde gegründet. Die neu gewählte SPD-Abgeordnete Dilek Kolat sieht eine Chance in der Zusammenlegung der Senatsverwaltung für Arbeit mit dem Wirtschaftsressort. „Hier geht es ja um Wirtschaftsförderung und gleichzeitig um Arbeitsmarktpolitik und Ausbildungsfragen.“

In der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS ist das ethnische Unternehmertum erstmals ein Thema: Die Koalitionäre wollen durch den Abbau bürokratischer Hürden zu mehr Ausbildungsplätzen bei ausländischen Unternehmen kommen und Existenzgründungen erleichtern, indem im Ausland erworbene Abschlüsse großzügiger anerkannt werden.

Die junge SPD-Politikerin Kolat mahnt auch Veränderungen bei der IHK und den Handwerkskammern an. „Die müssen sich multikulturell öffnen und beispielsweise mehrsprachige Formulare bereitstellen.“ Bisher herrsche das Denken vor: Wer ein Unternehmen gründen will, muss auch deutsch verstehen. Kolat: „Da müssen wir umlernen. Zuwanderer sind ohnehin unternehmerisch tätig. Politik und Verbände sollten sich der Fragen stellen, wie sie diese Menschen erreichen im wirtschaftlichen Eigeninteresse des Landes.“

„Neun Prozent aller Türken in Berlin sind wirtschaftlich selbständig,“ erklärt Hüsnü Özkanli vom Unternehmerverband. Für andere Migrantengruppen fehlen Statistiken. Experten schätzen, dass etwa jeder zweite Vietnamese in der Stadt im erwerbsfähigen Alter wirtschaftlich selbständig ist – zumeist als einzige Alternative zur Arbeitslosigkeit. Aufgrund eines Ausnahmetatbestandes im Einigungsvertrag dürfen ehemalige Vertragsarbeiter der DDR relativ unbürokratisch in die Selbstständigkeit gehen, vorausgesetzt, sie melden ihr Gewerbe im „Beitrittsgebiet“ an, so die bürokratische Umschreibung für den Ostteil.

Während in der türkisch-deutschen Unternehmervereinigung bereits offen über die Kandidatur von Migranten in die Vorstände von IHK und Handwerkskammern diskutiert wird, finden die vietnamesischen Kleinhändler keinen Zugang zu diesen Verbänden. Deren Bildungsangebote sind nicht auf Unternehmer vorbereitet, die sechs Jahre zur Schule gegangen sind, kaum deutsch sprechen und erst einmal lernen müssten, dass man sich Gelder für Gewerbemiete quittieren lässt und die Belege sorgfältig aufbewahrt.

Aber auch Strukturen der ethnischen Ökonomie im Westteil, die von der öffentlichen Hand gefördert werden, wie das Berliner Institut für vergleichende Sozialforschung oder die Initiative Selbständiger Migrantinnen, haben kaum Zugang zu dieser relativ abgeschotteten Gruppe. Bei den Vietnamesen kommt hinzu, dass kurzfristiges Geschäftsverhalten dominiert, mit dem man möglichst einfach das schnelle Geld machen will, so dass das Interesse an Bildung und Austausch über die eigene ethnische Gruppe hinaus kaum vorhanden ist.

In der vietnamesischen Ökonomie beziehen Außenhändler Waren aus Vietnam, China oder Polen, wobei sie oft verwandtschaftliche Kontakte nutzen. Die verkaufen sie an vietnamesische Großhändler, die sie weiter an Landsleute verkaufen, die einen Wochenmarktstand oder einen Billigladen haben. MARINA MAI