beobachtung eines zonenbrötchens
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von WIGLAF DROSTE

Reisen ist so herrlich, dass man dafür sogar eine deutsche Autobahn in Kauf nehmen kann. Unterwegs sein, in Bewegung sein, Fahrtwind im Gesicht – hach! Frau Knopf chauffiert den Wagen, ist mithin Fahrwart, ich als Beifahrer bin Flüppchen-, Kaffee-, Musik-, Bütterkes- und Plauderwart. Munter und gut gelaunt nehmen wir sogar einen Anhalter mit, einen jungen Mann, der ein großes zusammengeklapptes Metallgerät mit sich führt. Er verstaut es im Kofferraum. „Mein Bauchmuskeltrainer“, sagt er später stolz und möchte darüber reden. Da fahren wir leider schon und können ihn nicht mehr aus dem Wagen werfen.

Aber an der nächsten Raststätte ist er fällig. Das ist in Börde bei Magdeburg. Ich tanke und wasche die Scheiben, Frau Knopf hat derweil ein Brötchen gekauft. Das Brötchen heißt „Just for fun – der Frischesnack“ und ist laut Etikett angeblich ein „Salamibaguette“. Hergestellt wurde es bei „Hess-Snack“ in 14822 Borkheide, ist also ein waschechtes Zonenbrötchen mit Hess-Appeal. In einem Anfall temporärer Bewusstlosigkeit beiße ich dennoch hinein. Schon auf der Zunge beginnt die Kaumasse zu zischeln und zu britzeln, in der Kehle bleibt sie stecken. Ich greife zur Wasserflasche. „Nein!“, ruft Frau Knopf. „Kein Wasser – Cola! Sowas muss man mit Cola wegspülen!“

Ich tue wie mir geheißen; der Börder Zonenbrötchenpfropfen wird in einer Colaflut die Speiseröhre hinabbefördert, dann ist es besser. Ich rekonvalesziere, fühle mich aber nicht transportfähig. Es wird ein paar Tage dauern, bis ich mein Lieblingspräteritum werde aussprechen können: Ich genas.

„Lass mich hier liegen, es ist nur eine Würzfleischwunde“, ächze ich cowboyhaft. „Ohne mich hast du vielleicht eine Chance.“ Frau Knopf fackelt nicht lange und fährt los. Kurz vor der Autobahnauffahrt steht ein weiterer Anhalter. Er hat keinen Bauchmuskeltrainer bei sich, sondern etwas sogar noch Verabscheuungswürdigeres: eine elektrische Gitarre. Frau Knopf lädt den Stromgitarristen ins Auto und braust davon.

Ich bleibe und beobachte das Zonenbrötchen. Es liegt in der prallen Sonne und verändert sich nicht. Es schimmelt nicht, es stinkt nicht – es ist geimpft, fit gespritzt, gedopt. Tagelang liegt es in der Hitze, die ihm kein Fitzelchen Leben einhaucht. Man kann einem Zonenbrötchen nicht beim Sterben zusehen, denn es ist schon tot. Tot geboren und nichts dazugelernt, Zone eben.

Ich harre aus und werde zum späten Wiedervereinigungsgewinnler. Nie scheute ich mich, die Bewohner der Zone mit dem gemeinen Wort Zonis zu belegen. Doch hier, in Börde, lasse ich Zurückhaltung walten, denn ich lerne die allerreizendsten Damen kennen. Sie sehen mich mit meinem Zonenbrötchen sitzen; neugierig schnuppernd kommen sie näher, und ich stelle ihnen den gummigen Happen als Doktor Gregor Gysi vor. Dann sagen sie, wie sie heißen, und es wird ein bisschen traurig. Wenn jemand Sandy heißt oder Mandy, dann ist das der Ersatz dafür, dass die Eltern nicht uneingeschränkt reisen durften: Mandy heißen statt Reisefreiheit.