Ein Notnagel strebt nach höheren Weihen

Ein fernschussgewandter 1. FC Köln gewinnt im Viertelfinale des DFB-Pokals bei Hertha BSC mit 2:1 nach Verlängerung

BERLIN taz ■ Die Kardinalfrage nach dem 2:1-Sieg des 1. FC Köln bei Hertha BSC im Viertelfinale des DFB-Pokals war natürlich: Wäre das mit Ewald auch passiert? „Das weiß man nicht“, sagte Manager Hannes Linßen und zog die Schultern fast so hoch, wie früher sein schütteres Haupthaar ragte. Der vormalige Amateurtrainer Christoph John (43), der zunächst für zwei Spiele zum Nachfolger des am Montag entlassenen Ewald Lienen ernannt wurde, vollführte hingegen einen wahren Balanceakt in dieser Frage. Während in Köln von Löhr über Pagelsdorf bis zum Kokainprozesshansel Christoph Daum alle möglichen Namen als potentielle Lienen-Erben kursieren, hatte John in den letzten Tagen emsig deutlich gemacht, dass er nichts dagegen hätte, in die Fußstapfen des besagten Daum zu treten. Dessen Karriere begann mit der Berufung des damals unbekannten Assistenztrainers zum Notnagel beim 1. FC Köln.

Ein solcher Aufstieg setzt den richtigen Riecher für die passende Gelegenheit voraus und die Fähigkeit, sie sofort mit beiden Händen beim Schopf zu ergreifen. Die einmalige Gelegenheit für Christoph John ist jetzt da, was er sehr genau weiß. Also bemühte er sich nach dem ersten Kölner Sieg seit langer Zeit, den verstoßenen Lienen zwar nicht allzu sehr bloßzustellen, seine eigenen Verdienste aber keineswegs unter den Tisch fallen zu lassen. „Wir haben als Mannschaft gemeinsam verteidigt, was zuletzt nicht der Fall war“, hob er hervor. „Da sind wir der Musik meist hinterhergelaufen.“ Von Minute zu Minute habe das Team mehr Selbstvertrauen bekommen und auch nach dem 0:1 in der 47. Minute durch Bart Goor „nicht den Glauben verloren“, wie zuletzt bei 1860 München. DerAusgleichstreffer des überragenden Schweizers Rene Zellweger in der 85. Minute, das erste Tor der Kölner in fast 600 Minuten Spielzeit, habe „eine Blockade gelöst.“ Daran konnte kein Zweifel bestehen, denn in der Verlängerung bestimmten die Kölner das Spiel, und der von Lienen wegen geringer Lauffreude oft verschmähte Kapitän Dirk Lottner erzielte in der 106. Minute das verdiente Siegtor.

Der Einbau Lottners als zentrale Figur war die wesentlichste Änderung. „Er ist mein Kapitän und ich muss ihm den Rücken stärken“, betonte John. Das „System Lottner“ verhinderte aber nicht, dass die Kölner auch in Berlin demonstrierten, warum sie so tief gesunken sind. Zu beobachten waren große Verunsicherung, technische Fehler, ungenaue Pässe, Ratlosigkeit vor dem gegnerischen Strafraum. Kein Zufall, dass beide Tore durch Fernschüsse fielen. Mithalten konnte der 1. FC in dem schwachen, von bissigen Zweikämpfen geprägten Spiel vor nur 17.202 Zuschauern, weil bei den Herthanern einzig Marcelinho überzeugte, der Rest aber ähnlich dilettierte wie die Kölner.

„Mit dem Pokal-Halbfinale haben wir jetzt ein sportliches Highlight“, frohlockte Manager Linßen, ließ aber keinen Zweifel daran, dass die Bundesliga Priorität genießt: „Wir müssen die Klasse erhalten.“ Ob man Christoph John für geeignet hält, dieses Ziel zu erreichen, darauf wollten weder Manager noch Präsident Albert Caspers auch nur den kleinsten Hinweis fallen lassen. „Ich werde im Mannschaftsbus mit nach Hause fahren, dann werden wir uns auf das Spiel gegen Kaiserslautern am Samstag konzentrieren. Der Rest ist Sache von Manager und Präsidium“, sagte John brav den für ambitionierte Aushilfskräfte vorgeschriebenen Text.

Dennoch versäumt er es keinesfalls, seine Interessen zu vertreten. „Ich traue mir das zu“, erklärte er unmissverständlich und sagte dann zur Bekräftigung des mit ihm gekommenen frischen Windes einen Satz, den Karnevalsfeind Lienen so kurz vor Rosenmontag niemals über die Lippen gebracht hätte: „Es kann funktionieren, wenn die Mannschaft zusammenhält, zusammen auf den Platz geht und auch mal zusammen feiert.“

MATTI LIESKE