Der Vollzeit-Verfassungs-Verfasser

Der SPD-Politiker Jürgen Meyer wird den Bundestag im EU-Konvent vertreten und setzt dabei ganz auf seine Erfahrung

Nun hat ihn die SPD-Fraktion also doch durchgesetzt: Gestern wählten die Abgeordneten des Bundestags Jürgen Meyer zu ihrem Vertreter im EU-Konvent. Eine Entscheidung, die lange Zeit unsicher war. Oder zumindest unsicher schien. Denn immer wieder hatte die CDU ihren Verfassungsexperten Wolfgang Schäuble ins Spiel gebracht. Es gebe eine Absprache zwischen Kanzler Gerhard Schröder und CDU-Fraktionschef Merz hierzu, hieß es. Eine Bestätigung dafür gab es aber nicht. Schröder schwieg und unterstützte in der Fraktion Jürgen Meyer.

Im Unterschied zu Schäuble gehört der Ulmer Rechtsanwalt sicher nicht zu den Bundestagsabgeordneten der ersten Reihe. Und der Vizevorsitzende des Europaausschusses machte auf sich auch nicht durch spektakuläre EU-Zukunftsvisionen aufmerksam: Die Bildung eines Führungskerns besonders integrationsfreudiger EU-Staaten, wie im so genannten Lamers-Schäuble-Papier vorgeschlagen, gehört nicht zu Meyers vorrangigen EU-Optionen.

Doch im Gegensatz zu einer Vielzahl der 105 Mitglieder des Konvents ist für Meyer das Projekt EU-Verfassung nichts Neues. Der Universitätsprofessor, der sich 1975 mit einer Arbeit über die „Korrektur von rechtskräftigen Fehlurteilen“ habilitierte, saß bereits im 1999 einberufenen Grundrechtekonvent der EU. Eine Arbeit, die für ihn so wichtig war, dass er darüber gleich zwei ausführliche Bände mit Protokollen und Kommentaren veröffentlichen will. Meyer: „Die EU-Verfassung ist mein Hauptprojekt. Um mich ihr zu widmen, kandidiere ich nicht mehr für den Bundestag.“

Dies hätte ihn fast um den erstrebten Posten im Konvent gebracht. Seine fehlende Anbindung an den Bundestag ab September bemängelten SPD-Kollegen, der junge Europapolitiker Michael Roth kandidierte gegen den 65-Jährigen. Meyer sieht das ganz anders. Gerade weil er keinen Wahlkampf führen müsse, bliebe ihm genug Zeit für „diesen Fulltimejob“ im Konvent.

Ähnlich wie die Spitze der deutschen Verfassungsredner – Außenminister Fischer, Kanzler Schröder, Bundespräsident Rau – sieht Meyer die EU als „Föderation von Nationalstaaten“. Er tritt für eine Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europaparlament ein und dafür, dass die Parteien dazu mit einem Spitzenkandidaten zur Europawahl antreten. Die jetzigen Ministerräte könnten zu einer Staatenkammer umgebildet werden, neben dem Parlament das zweite gesetzgebende Gremium.

Und natürlich ist Meyer der Ansicht, dass die Bedeutung der Grundrechtecharta gestärkt werden muss. Was durch ein EU-weites Referendum geschehen könnte. Außerdem müsse die Möglichkeit zu Verfassungsbeschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof geschaffen werden. Hier trifft sich Meyer mit seinen Kollegen aus der Union. Wie im Übrigen auch bei der Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen Brüssel und den Nationalstaaten: „Es ist doch grotesk, dass ein Land wie NRW, das größer ist als viele Mitgliedstaaten, weniger Mitspracherechte in der EU hat als diese. Ich war schließlich auch mal Landtagsabgeordneter.“ Überhaupt unterscheiden sich die Europapolitiker aller Parteien in der Debatte über die EU-Verfassung nicht allzu sehr voneinander. Weshalb einige dann gestern auch für Meyer stimmten. Trotz der Affäre um Schäuble. SABINE HERRE