Genosse Güsi geht

Gregor Gysi hält seine Abschiedsrede im Deutschen Bundestag und hat an diesem Tag nichts zu lachen

BERLIN taz ■ „Als Nächster spricht der Abgeordnete Gregor Gysi“, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man es glatt für eine kleine Bösartigkeit halten, dass ausgerechnet der Germanist Thierse den Namen seines ewigen Konkurrenten falsch ausspricht und aus Gysi „Güsi“ macht. Genosse Güsi jedoch geht großzügig darüber hinweg und kündigt seine letzte Rede als Abgeordneter des Deutschen Bundestages an. Ausgerechnet an dieser Stelle klatschen einige Kollegen Abgeordnete der anderen Parteien Beifall. So viel Reaktionsvermögen hatte man ihnen eigentlich gar nicht mehr zugetraut, schließlich waren sie nach dem Referat des Staatsministers Rudolf Schwanitz zum Stand der deutschen Einheit bereits in einen gesunden Vormittagsschlaf gefallen.

„Es muss nicht meine letzte Rede im Bundestag sein“, antwortet daraufhin der frisch gewählte Berliner PDS-Wirtschaftssenator, „aber wenn ich noch einmal wiederkomme, dann sitze ich hier auf einer anderen Bank.“ Wieder hämischer Beifall. Die ersten Abgeordneten fangen an zu johlen. Andere lachen.

Ja, ja, so geht es zu im Deutschen Bundestag, immer lustig, immer fröhlich, und wenn der Gysi vorne steht, darf jeder mal den Lukas hauen. Wer glaubt, das war nur 1990 so, als die Genossen von der PDS noch leibhaftige Kommunisten waren, die jeder Abgeordnete im Bonner Wasserwerk ungestraft niederbrüllen durfte, der irrt. Zehn Minuten im Berliner Reichstag an diesem Donnerstag reichen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.

Für Gregor Gysi war es ein Abschied, der ihn an seinen Anfang im Bundestag erinnert haben dürfte. „Ich habe mich noch nie in meinem Leben so fremd gefühlt wie damals in Bonn“, hat Gysi später einmal über seine ersten Jahre im Parlament gesagt. Gestern saß er nach seiner Rede in der Lobby des Reichstages und sagte beleidigt: „Dieses Verhalten ist provinziell.“

Dabei hatte Gysi gar keine besondere Rede gehalten, eher das Übliche. Er hat vor allem über die Fremdheit der Ostdeutschen im vereinigten Deutschland gesprochen. Am bemerkenswertesten war noch Gysis Hinweis, dass sein Vater, ein überzeugter Kommunist, eines mit Helmut Kohl verbinden würde: ihre Sozialisation in einem vereinigten Deutschland. Ihnen sei es deswegen immer leichter gefallen, im Gegensatz zur Generation eines Joschka Fischer, Deutschland als ganzes zu betrachten.

Wieder Aufruhr bei der CDU. Ein Gysi darf doch seinen Vater nicht mit Kohl vergleichen!

Als Gysi fertig ist, bekommt er fast nur von seiner eigenen Fraktion Beifall. Seine Genossen überreichen ihm Blumen. Sonst rührt sich keiner. Plötzlich steht Joschka Fischer auf, geht demonstrativ quer durch den Plenarsaal und reicht Gysi die Hand. Er bleibt zwei Minuten bei Gysi stehen. Die beiden plaudern. Fischer sagt Gysi, dass er ihn um seinen Job in Berlin nicht beneide. Kurze Zeit später fährt Wolfgang Schäuble in seinem Rollstuhl an der PDS-Fraktion vorbei. Schäuble weiß, welche Macht Symbolik in der Politik entfalten kann. Er gibt Gysi nicht die Hand. „Viel Glück!“, ruft er ihm zu. Immerhin. JENS KÖNIG