Nach dem vertanen Jahr

2001 radelte die Berlinerin Hanka Kupfernagel meist hinterher. Sie gönnte sich Urlaub und ließ es ruhiger angehen. Jetzt will sie sich aber wieder an die Spitze des Pelotons setzen. Gelegenheit dazu bietet die Querfeldein-Weltmeisterschaft am Sonntag

aus Zolder SEBASTIAN MOLL

Was man gut kann, macht Spaß und bringt Selbstbewusstsein. Von beidem kann Hanka Kupfernagel derzeit tüchtig vertragen. Deshalb beginnt die Silbermedaillen-Gewinnerin des Straßenrad-Rennens bei den Olympischen Spielen von Sydney die Saison 2002 mit den Weltmeisterschaften im Querfeldeinfahren an diesem Sonntag im belgischen Zolder. Bei den Gelände-Weltmeisterschaften hatte sie in den vergangenen zwei Jahren jeweils gewonnen. Eine Erfahrung, die sie im letzten Sommer schmerzlich vermissen musste.

Sechs Jahre lang, seit ihrem Sieg bei den Europameisterschafen 1996, war der Name Kupfernagel in Deutschland mit dem Frauen-Radsport deckungsgleich. Deutsche Meisterschaften waren stets ein Kampf um Platz zwei hinter Kupfernagel, die einsam vorneweg fuhr. In den Siegerlisten des Weltcups oder bei großen internationalen Rundfahrten war immer nur ein deutscher Name auf den vorderen Plätzen zu finden: Hanka Kupfernagel. Das Silber von Sydney war die Krönung dieser Laufbahn – und das vorläufige Ende der Entwicklung der damals 26 Jahre alten Berlinerin.

Denn nach Sydney wurde alles anders. Kupfernagel hatte das Gefühl, ausbrechen zu müssen. Die Herrschaft des Radsports über ihr Leben kam ihr auf einmal vor wie ein zu eng geschnürtes Korsett. Sie trennte sich von ihrem Ehemann und Trainer Torsten Wittig, sowohl sportlich als auch privat. „Der Sport machte mehr als 80 Prozent unseres Lebens aus“, gab sie als einen der Gründe für die Scheidung an. Sie schloss sich der Profi-Mannschaft der holländischen Olympiasiegerin Leontien Van Moorsel an. Und sie ließ es erst einmal locker angehen. „Ich habe zum ersten Mal seit sieben Jahren Urlaub gemacht“, sagte sie freudestrahlend, braungebrannt und für eine Berufsradfahrerin etwas zu füllig um die Hüften, als sie im Juli bei den Deutschen Meisterschaften auftauchte. Nennenswerte Saisonergebnisse hatte sie bis dahin nicht erzielt.

Das änderte sich auch bis zum Ende der Saison nicht. In den Vordergrund schoben sich andere Deutsche, allen voran Judith Arndt aus Leipzig, die bei der Tour de France der Frauen Dritte wurde. Bei den Weltmeisterschaften im Oktober riss Hanka Kupfernagel schon beim Start des Zeitfahrens die Kette. Im Straßenrennen verschwand sie im Hauptfeld, während Judith Arndt auf Rang vier nur knapp ein Medaille verpasste. „Ich hatte gedacht, es tut mir gut, wenn ich einmal lockerer an die Sache herangehe“, resümiert Kupfernagel jetzt das sportlich vertane Jahr. Und irgendwie tat es das auch: „Ich glaube, ich habe das gebraucht.“ Sportlich hätte sie das allerdings weniger gebraucht: „Ich hatte gedacht, ich könnte auch mit weniger Arbeit vorne mit fahren.“ Jetzt weiß sie, dass das nicht geht.

Um sportlich wieder Anschluss zu finden, hat sie sich zum Jahreswechsel dem ambitionierten „Team Nürnberger“ angeschlossen. Die Formation des fränkischen Versicherungsunternehmens hat den Ehrgeiz, als erste deutsche Frauenmannschaft mit den Teams aus Frankreich, Benelux und Italien zu konkurrieren, allesamt Länder, wo die Professionalisierung des Frauenradsports schon viel weiter vorangeschritten ist als in Deutschland. Außerdem ist Kupfernagel wieder in die Trainingsgruppe um ihren Exehemann Torsten Wittig in Berlin zurückgekehrt: „Bloß weil ich mal mit dem verheiratet war, heißt es ja nicht, dass ich auf die gute Zusammenarbeit verzichten muss.“ Anscheinend hat Hanka Kupfernagel in ihrem „Übergangsjahr“, wie sie 2001 nennt, gelernt, zwischen Beruf und Privatleben zu trennen.

Gelernt hat sie auch, „wie so ein Fahrerfeld von hinten aussieht.“ Eine wichtige Erfahrung, meint sie jetzt, denn nun wisse sie, dass ihr der Anblick nicht gefällt. Bereits im November hat sie deshalb das Training wieder aufgenommen und „so gearbeitet wie immer“. Soll heißen, wie vor Sydney. Damals hatte sie auch zum ersten Mal den Cross-Titel zum Jahresbeginn gewonnen. So soll es auch am Sonntag werden. Schon um wieder das Gefühl dafür zu bekommen, wie es sich an der Spitze eines Feldes fährt.