piwik no script img

Ein Nachkriegsgesamtkunstwerk

von JAN FEDDERSEN

Das interessierte Publikum hatte es lange erwartet: Hildegard Knef hat zu leben aufgehört. Sie, die trotz aller Boulevardschlagzeilen der jüngsten Zeit („Hilde am Sauerstoffgerät“) als unverwüstlich, ja unsterblich galt, konnte sich nicht mehr von einer Lungenkrankheit infolge eines Transatlantikflugs erholen. Ihre vor Jahresfrist geäußerten Pläne, noch ein Buch zu schreiben, noch eine CD einzusingen, noch ein Theaterstück zu verfassen, bleiben unrealisiert.

Aber niemand hat ihr das übel genommen, dass sie Projekte über Projekte schilderte, an denen sie sitze, weil sie gar nicht anders könne, als eben sich Dinge auszudenken, die veröffentlicht werden müssen. Außer der 1999 erschienenen CD „17 Millimeter“, einer Hommage des Jazzmusikers Till Brönner an diese „größte Sängerin der Welt ohne Stimme“ (Ella Fitzgerald), hat die Knef nichts mehr zuwege gebracht. Das Gesicht vom Kortison aufgeschwemmt, brüchig die Stimme und oft fahrig. Das böseste Indiz schwindender Kraft aber: Selbst das Rauchen – genießerisch, süchtig, als sauge sie das Leben mit jedem Zug neu in sich ein –, das im Übrigen bei ihr kunstvoll wie sonst nur beim Kollegen Gilbert Bécaud aussah, ließ sie sein – untrügliches Zeichen, dass eine es bald nicht mehr schafft. Die Knef war mehr als Hildegard Knef. Ein deutsches Nachkriegsgesamtkunstwerk. Geboren am 28. Dezember 1925 in Ulm, aufgewachsen als Berlinerin, Filmschülerin in Babelsberg, vor der Roten Armee auf der Flucht und dann Tage in Einzelhaft. Danach der märchenhaft-skandalöse Aufstieg als deutscher Sonderweg des Entertainments: Nichts an ihr piepsig-deutsches Frolleinwunder, nichts schien sie gemein zu haben mit der Ästhetik des grundlos Aufgeheiterten.

Nach Filmen wie „Die Mörder sind unter uns“ (erster deutscher Nachkriegsfilm, Regie: Wolfgang Staudte) war es vor allem der Willi-Forst-Streifen „Die Sünderin“, der ihren Weg zur Legende ebnete. In dieser cineastisch nicht besonders herausfordernden Arbeit war sie sekundenkurz nackt erkennbar – züchtig eigentlich, aber damals ein Skandal: Fortan war die Knef ein Star. Mit diesen Meriten ging sie in die USA, lernte dort Marlene Dietrich kennen, spielte am Broadway in einem Cole-Porter-Musical mehr als zwei Jahre, trieb sich mit der New Yorker Künstlerboheme in Harlem herum, lernte dort den Jazz als ästhetisches Signum der gebildeten Schichten kennen und lieben – und blieb doch immer ein Star aus Deutschland und in Deutschland.

Filmprojekte floppten oder missrieten künstlerisch. Aber was machte das schon? Anfang der Sechzigerjahre begann sie als Sängerin eigener Texte zu arbeiten – und avancierte zur ersten deutschen Liedermacherin ohne Polit-Appeal. Mit Udo Jürgens und Esther & Abi Ofarim war sie das Intelligenteste, was im deutschen Unterhaltungsgewerbe möglich war – eine Chanteuse mit dem Appeal der selbstbewussten Dame. Ihre Lieder sind Evergreens und – was die Knef besonders stolz gemacht hat – Teil des Bildungsguts geworden, das nach 1945 auch exportfähig war. „Von nun an ging’s bergab“ beispielsweise steht in schwedischen Deutschlehrbüchern als Vorlage für ein lakonisches und modernes Deutsch. Nie stand ihr Oeuvre in Gefahr, während eines Schlagerrevivals recycelt zu werden: „Ich brauch Tapetenwechsel“, „Eins und eins, das macht zwei“ oder eben das triumphale „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ sind einfach nicht zu vertrashen.

Ihr Vortragsstil tat das Seine, die Songs der Knef einzigartig zu machen. Kühl, mit einem exzellenten Gespür für einen sinnvoll verschleppten Takt, ja lakonisch-distanziert gab sie ihre Konzerte – den Fans nah und doch immer ungreifbar. Sie war keine zum Anfassen, keine, die sich abknutschen ließ. Nie machte sie sich mit dem damals dominierenden Stil des Deutschen gemein. Neckisch oder niedlich, das war sie hinter mächtig künstlichen Wimpern wirklich nicht.

Sie gab und war die Lady, die auf die Errungenschaften des Feminismus nicht warten musste, um Gehör zu finden. Hilde Knef, das war die Frau, die aus einer Kindheit unter dem Nationalsozialismus ihre eigenen Schlüsse zog: Trau keinen Ideologien, misstraue allen Klischees über das, was eine Frau zu tun und zu lassen hat, sei pragmatisch, jammere nicht, kämpfe nie in Abhängigkeit von Männern. In einem taz-Interview antwortete sie auf das Stichwort „Frauenbewegung“, die habe sie nicht interessiert, weil sie deren Anliegen für sich schon gelöst habe.

Und ebendies machte sie zum Rollenmodell für viele Frauen, die auf die Impulse der späten Sechzigerjahre nicht warten und mit dem aggressiven Habitus dieser Ära nichts anfangen konnten. Die Knef zeigte, wie man mit Würde und ohne deutsche Verzopftheit als Frau bestehen kann. Zumal in ihren Liedern erstmals von Dingen wie Ehebruch, Melancholie, Trauer, Einsamkeit und eben auch dem Wiederaufstieg aus der Verlassenheit die Rede war. Eine großartige Karriere, hart erarbeitet, schwer erlitten: Rosen über Rosen. Und seit den Siebzigern noch mehr Lob, als sie ihren Roman „Der geschenkte Gaul“ veröffentlichte: die Geschichte ihres Lebens – Nazitum, Kriegsfolgen, Wirtschaftswunder und Hollywood. Sehr munter geschrieben, so mutig notiert – trotz der Kritik, dass bei ihr immer die anderen die Bösen sind.

Sie hatten ja alle Recht. Zugleich aber war die Knef mit diesen literarisch geformten Bekenntnissen wieder ganz Avantgarde: als quälend-ehrliche Autorin von Selbsterfahrungen. Die Steigerung war schließlich ihr Roman „Das Urteil“, die Geschichte ihrer eigenen Krebserkrankung und zugleich der literarisch-populäre Prototyp unzähliger anderer Bücher anderer Autorinnen, die über ihre Krankheiten nicht mehr schweigen mochten.

Der Rest? Gelegentlich nervte sie, sehr sogar. Immer wieder Krankheiten, immer wieder der Zwang, ihre Tochter Tinta beschützen zu müssen – und darüber öffentlich zu räsonieren. Der Knef wurde erst in den Neunzigerjahren wieder gehuldigt, durch die Gruppe „Extrabreit“ und andere aus dem Bereich der neuen deutschen Unterhaltungsmusik.

Hildegard Knef hat keine Nachfolgerinnen gefunden. Vielleicht hat sie die Latte zu hoch gelegt. Aber weshalb hätte sie es darunter tun sollen – sie hat sich schließlich auch nie nur mit Gediegenem zufrieden gegeben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen