Neuer Rasen, Romeo und der Rausch

■ Durch den Vollbierausschank werden die HSV-Fans beim 2:1-Erfolg über 1860 zu Piepmätzen

Fünf Minuten vor Ende der endlich erfolgreichen Partie über 1860 München spielte sich eine für das Spiel symptomatische Szene im Strafraum des HSV ab. Der x-te Versuch der 60er, mit einer hohen Flanke von außen in das Strafraumzentrum vorzudringen, wird vom herauseilenden HSV-Torwart Martin Pieckenhagen mit den Fingerspitzen vereitelt. Doch der Ball landet trotzdem vor den Füßen eines in Oranje gedressten Münchners, der aus 14 Metern abzieht, einen HSV-Rücken trifft und schließlich zielsicher auf das Hamburger Gehäuse zufliegt. Insgesamt verhinderten drei Hamburger Spieler auf der Linie des eigenen Tores, dass der Querschläger noch im eigenen Netz landete. 89 Minuten wollte und konnte der Ball einfach nicht rein, bevor der eingewechselte 60er Markus Weissenberger Pieckenhagen doch noch zum 1:2 überwand und dem HSV die Nerven nochmals für dreieinhalb Minuten flattern ließ. Es blieb die einzige Szene, in der die Gäste Zählbares aus den zahlreichen Unsicherheiten im Spielaufbau des HSV herausschlagen konnten. Nicht genutzte Umstände, die Löwen-Coach Peter Pacult nur noch mit „unerklärlich und unverständlich“ zusammenfassen wollte. Den Eindruck, dass er gerne kräftigere Worte gebraucht hätte, wurde man nicht los.

Je enttäuschter die Gäste, um so glücklicher die Gastgeber. Eine Regel, gültig zumindest im Sport, die dem österreichischen HSV-Trainer Kurt Jara zum Empfang seines Landsmannes Pacult gut zu Gesicht stand. So kam es, dass Jara „die größere Anzahl von Chancen“ auf Seiten des HSV ausmachte und gerne betonte, „dass die klareren Chancen auch von uns herausgespielt wurden“. Tatsächlich musste man in diesem durch Abspielfehler durchaus abwechslungsreichen Bundesligaspiel das schnelle Umschalten von Defensive auf Offensive loben. Der genesene Abwehrchef Nico Jan Hoogma verlieh der dreigliedrigen Abwehrkette des HSV eine gesunde Stabilität. Selbst wenn die linke Seite von Hertzsch des häufigeren verunsichert wirkte, konnte man den Eindruck gewinnen, das durch die Unterstützung der defensiven Mittelfeldkräfte Wicky und Ujfalusi eine kompakte HSV-Mannschaft auf dem Feld stand. „Das sehe ich genauso“, sagte Co-Trainer Manfred Linzmaier, „trotzdem verschenken wir noch zu viele Bälle, die man nicht verschenken darf.“

Selbstkritische Töne, die Kurt Jara durch eine „hervorragende Mannschaftsleistung“ weglobte. „Da sind einige mit Krämpfen rausgegangen und so muss es sein“, ergänzte Bernd Hollerbach die Meinung seines Trainers. Dieser freute sich spitzbübisch über seine Entscheidung, nur mit zwei „statt der von 60 erwarteten drei Stürmer“ aufzulaufen. Das unerwartete 3-5-2 System brachte nicht zuletzt durch Jaras zweiten Coup - er brachte den angeschlagenen Cardoso von Beginn an - und der daraus resultierenden argentinischen Achse Cardoso-Romeo einen überraschenden Effekt. „Cardoso ist für Heimspiele ein wichtiger Spieler“, erklärte Jara unorthodox, vielleicht in Sorge um die nur 34.000 anwesenden Zuschauer im Stadion. Unter dem durch Ronald Schill verordneten Vollbiereinfluss gerieten diese allerdings eher zu Piepmätzen. Mehrmalige Aufrufe des Stadionsprechers, die mitgebrachten Pfeifen nicht mehr zu benutzen, um den Schiedsrichter nicht zu irritieren, wurden mit lautstarken Pfiffen quittiert.

Ob dies den argentinischen Stürmer Romeo bei seinem Debüt verunsicherte, war nicht herauszubekommen. Auf jeden Fall war er anfangs „sauer, weil ich so viele Chancen ausgelassen habe“. Anschließend machte er sich selbst mit der Vorbereitung zum 1:0 (61. Min.) und spätestens mit seinem entscheidenden Treffer zum 2:0 (81.) glücklich.

Eine herausgespielte Führung, die nach dem vergebenen Elfmeter von Sergej Barbarez in der 47. Minute beim Stand von 0:0 nicht zu erwarten war. „Zehn bis 15 Minuten nach dem Elfer ging nichts mehr“, sah auch Jara. Der Kater kam diesmal vor dem Rausch. Oke Göttlich