Statt für Perschau bald für Warschau

■ Die EU-Osterweiterung macht Bremen Sorgen: 50 Millionen Euro EU-Strukturhilfe könnten wegfallen – ausgerechnet 2006, wenn auch die Sanierungs-Milliarden aus Berlin versiegen

Die Rechnung, die der Leiter der Vertretung Bremens bei der EU, Christian Bruns, aufmacht, ist einfach: „Wenn der Kuchen nicht wächst und die Anzahl der Esser steigt, dann bleibt für den einzelnen weniger übrig.“ Der Kuchen: Das sind die EU-Fördermittel für benachteiligte Regionen. Rund 50 Millionen Euro fließen davon jedes Jahr in den Zwei-Städte-Staat an der Weser. Hier finanzieren sie unter anderem Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit und für Exis-tenzgründerInnen. Noch – denn schon 2006 ist Schluss. Ausgerechnet dann, wenn die Sanierungsmilliarden aus Berlin auslaufen, werden auch die EU-Fördermittel neu verteilt. Und im Vergleich zu den Ländern Ost- und Mitteleuropas, die bis dahin der EU beigetreten sein werden, gilt Bremen als „reich“ – es könnte leer ausgehen.

„Wir sehen das als eine tatsächliche Bedrohung an“, sagt Sven Wiebe, Referatsleiter für EU-Programme im Wirtschaftsressort. Die mehr als 25 Millionen Euro pro Jahr aus dem Regionalentwicklungsfonds (EFRE) machen zur Zeit knapp ein Drittel des Wirtschafts- und Strukturpolitischen Aktionsprogramms Bremens (WAP) aus. Die Liste der damit geförderten Projekte ist lang; sie reicht vom Bau des Biotechnologiezentrums in Bremerhaven über die Förderung von Nebenzentren wie Hemelingen bis hin zu Existenzgründungsprogrammen für Hochschulabsolventen.

Noch einschneidendere Folgen als für die Wirtschaftsförderung hätte ein Wegbrechen der EU-Fördermittel für die Bremer Arbeitsmarktpolitik: Fast die Hälfte der Mittel für das Beschäftigungspolitische Aktionsprogramm (BAP) Bremens stammen zur Zeit aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) – unter anderem für Qualifizierungsmaßnahmen gegen Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit, Frauenförderprogramme und Weiterbildung. „Da könnte es ein Problem geben“, sagt Sozialressort-Sprecherin Heidrun Ide. Für weitergehende Überlegungen sei es jedoch zu früh.

Auch wenn die Fördermittel erst zum Jahr 2007 neu verteilt werden – die Weichen werden viel früher gestellt. EU-Kommissar Michel Barnier will noch im Jahr 2003 konkrete Modelle vorlegen. Und schon im Mai steht die künftige Struktur-Politik der EU zur Diskussion.

Dann müssen auch die einzelnen Länder entscheiden, ob die Förder-Millionen wie bisher zentral von Brüssel aus verteilt werden sollen, oder ob an die Stelle der EU-Fonds ein innereuropäischer Finanzausgleich („Netto-Fonds-Modell“) treten soll. In diesem Fall wäre für die Verteilung der Fördermillionen in Deutschland nicht mehr Brüssel, sondern Berlin zuständig – und die Auflagen der EU für die Zuteilung des Geldes würden wegfallen. Eine Idee, die auch in Bremen Anhänger findet. Bisher schreibt die EU bei geförderten Projekten etwa ein Controlling durch Dritte oder Frauenförderpläne vor. „Das ist für das Wirtschaftsressort immer lästig“, sagt EU-Experte und Grünen-Abgeordneter Hermann Kuhn. So musste Bremen erst Naturschutzrichtlinie FloraFaunaHabitat (FFH) und die Bäderrichtlinie umsetzen, bevor es in den Genuss des Geldsegens aus Brüssel kam. Wirtschaftsförderer Wiebe klagt: „Die EU will mit ihren Fördermitteln Politik machen.“

Genau das halten die Grünen hingegen für richtig. Präventive Ar-beitsmarktpolitik, Jobrotations-Prinzip und „gender mainstreaming“ wären ohne die EU hier viel schwerer durchzusetzen gewesen, sagen sie. Am 20. Februar soll die Bürgerschaft über das Thema debattieren.

Unterstützung bekommen die Grünen von der SPD-Europaabgeordneten Karin Jöns: „Bremen hat von der EU ganz viele innovative Impulse bekommen.“ Nicht nur aus diesem Grund warnt die EU-Parlamentarierin davor, das bisherige Fördermodell aufzugeben: „Die sollen sich nicht einbilden, dass sie von Berlin noch was kriegen.“ Statt aus dem bisherigen „Solidaritäts-Modell“ auszusteigen, solle Bremen besser Einfluss auf die Brüsseler Vergabe-Kriterien nehmen – und sich dafür einsetzen, dass die EU-Fördertöpfe in Zukunft mit mehr Geld ausgestattet sind. Dann hätte nämlich auch Bremen noch Chancen, weiterhin bedacht zu werden, glaubt Jöns: „Niemand soll absolut im Regen stehen.“ hoi