Sommernachtsfantasien

Die Tangogötter müssen verrückt sein: Das französische Gotan Project präsentierte im Quasimodo seine Dub-Version des argentinischen Tango Nuevo vor vollem Haus, Kid Loco fegte es anschließend mit ein paar Platten wieder leer

Die Synthese aus Tangoklängen und Dub-Elektronik findet sich in Filmbildern wieder

Vollmondnächten im Sommer ist oft eine seltsam unwirkliche Stimmung eigen. Mondsüchtige treibt es zum Traumtanzen ins Freie, und eine besonders somnambule Szene zieht es nächtens zum Tangotreff auf die Terrasse des Pergamon-Museums.

Für vorgezogene Sommernachtsfantasien bot sich auch das unwirklich laue und sternenklare Wochenende an. Da traf es sich gut, dass mit dem französischen Gotan Project am Samstag eine DJ-Formation in der Stadt Station machte, deren Synthese aus Tangoklängen und verhallter Dub-Elektronik für solche Traumtänzereien eine musikalische Projektionsfläche bietet.

„Habt ihr noch Karten?“ war wohl die am häufigsten gestellte Frage, die am Konzertabend auf der Terrasse des Quasimodo-Cafés und auf den Stufen dorthin zu hören war. Drinnen hieß es dann „Darf ich mal vorbei“, denn im gerammelt vollen Laden war kaum ein Durchkommen mehr, und beim Durchqueren spielten sich zwischen den Leibern kuriose Nahtanzszenen ab, auch das passte irgendwie zum Anlass. Das erste Berliner Gastspiel des französischen Gotan Projects – der Name ist ein Anagramm von Tango – stieß erwartungsgemäß auf große Resonanz, hallt ihr Album „La Revancha del Tango“ doch längst schon aus vielen Cafés und Lounge-Bars wider.

Die Liason dangereuse von Tango und Dub, der Welten von Astor Piazolla und Lee Perry verdankt ihr Entstehen natürlich der Studio-Alchemie. Doch während vergleichbare Elektronik-Projekte auf der Bühne oft für Langeweile sorgen, kann das Gotan Project dank hochkarätiger Gastmusiker aus dem Dunstkreis der Tangoszene von Paris auf versierte Instrumentalisten bauen, und sich sogar so etwas wie Anflüge von Improvisation leisten.

Für ihre Konzerte haben sich die beiden Franzosen Philippe Cohen Solal und Christophe H. Mueller, die Väter der Fusion, noch etwas einfallen lassen: Ein durchsichtiges Tuch verschleierte anfangs die Sicht auf die Bühne, und diente als Projektionsfläche für assoziative Filmbilder wirbelnder Tangobeine, tanzender Paare und im Wasser schwimmender Frauenkörper, geloopt im Rhythmus der Beats. Nur schemenhaft konnte man hinter dem Vorhang Musiker wie den Bandoneonspieler Nini Flores und den Gitarristen Eduardo Makaroff erkennen, die dem Projekt auf der Bühne ein Gesicht geben. Die eindrucksvolle Stimme stammt von der spanischen Sängerin Cristina Villalonga, die sich erst später zu den beiden gesellte – als der Moment für ihren Einsatz beim Klassiker „Vuelvo Al Sur“ gekommen war.

Erst nach einer halben Stunde fiel der Vorhang, und gab die Sicht auf das ganze Ensemble frei, acht Musiker insgesamt, die zwei eher unscheinbaren DJs an Keyboards und Knöpfchen im Hintergrund mit einberechnet. Die allerding hielten das Sound-Steuer fest in der Hand, und setzten gegen Ende sogar zu einem leichten Ausflug ins Housige an.

Nach dem angemesen bejubelten Auftritt des Gotan-Ensembles versuchte Kid Loco, als DJ der zweite Headliner des Abends, die Party am Plattenteller mit Vollgas zu starten. Mit Hits wie „Pump Up the Volume“ schraubte die Beat-per-Minute-zahl rapide hoch, und sorgte damit für einen abrupten atmosphärischen Bruch. Ein paar Unentwegte begannen bald, sich zu seinen alten Dancefloor-Hits zu bewegen. Doch es hatte nicht ganz die Eleganz des Tangos.

DANIEL BAX