Kulturpolitik am Runden Tisch

Aus der Finanznot eine kulturelle Tugend machen: Wie Kultursenator Thomas Flierl (PDS) die Berliner Kulturschaffenden in einem „Forum Kultur“ versammeln möchte. Die Devise lautet: Nicht nur sparen und schließen, sondern auch verändern

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Der Einstieg als Kultursenator hätte für Thomas Flierl härter nicht sein können: Vor ihm die leeren Kassen und hinter ihm die Meute, die alles für die Kultur in der Hauptstadt fordert: Als „dritte Wahl“ verspotteten die Tageszeitungen den PDS-Mann am Schreibtisch in der Brunnenstraße. Flierl, das sei der „Dorfschulze“ vom Prenzlauer Berg und „kein Pegasus“, den Berlin so nötig bräuchte.

Dass der neue Kultursenator daraufhin Nerven zeigte, scheint evident. Kaum hatten der Rat der Künste, Regisseure und Theaterleute, Museumsdirektoren und Publizisten die kulturpolitischen Leitlinien im Koalitionsvertrag gelesen und diese in einem „öffentlichen Brief“ ‚zerrissen‘, kroch der Senator zu Kreuze. Bei einem Treffen am vergangenen Wochenende mit György Konrad, Präsident der Akademie der Künste, begrüßte Flierl die in dem Brief vorgetragene Anregung der Gründung eines „Forum Kultur“, das der Berliner Kultur aus „ihrer lebensbedrohlichen Krise“ heraushelfen sollte. Zugleich bat Flierl den Akademiepräsidenten, das Forum „im Sinne einer konzeptionellen und interdisziplinären kulturpolitischen Debatte zu entwickeln und zu koordinieren“.

Gibt der Kultursenator die Fäden schon zu Beginn seiner Amtszeit damit aus der Hand? Resigniert er angesichts der großen finanziellen und strukturellen Schwierigkeiten in den Kulturinstitutionen des Landes? Ist er so schwach, sich gleich Hilfe holen zu müssen? Vielleicht. Dennoch hat Flierl das einzig Richtige getan. Angesichts eines Haushaltsvolumens von gerade einmal rund 375 Millionen Euro (1,9 Prozent des Landeshaushalts) und der Ankündigung des Senats, den Kulturetat in diesem Jahr noch um weitere 9 Millionen Euro kürzen zu wollen, sind Pragmatismus und der kulturpolitische Diskurs mehr wert als Eitelkeiten. Mag sein, dass Flierl kein Pegasus ist. Doch mit der Einsetzung des Gremiums wird Kulturpolitik zu einer pragmatischen Ideenwerkstatt, in der alle „Probleme“, Interessen und möglichen Lösungsansätze an einem runden Tisch versammelt werden. Kulturpolitik, von Flierls Vorvorgängern oftmals missbraucht die eigenen Vorlieben zu nähren, erhält den Rang einer Allianz, ohne die es keine neuen Perspektiven in der hauptstädtischen Kulturarbeit geben kann.

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS beinhaltet Sprengstoff genug: So formuliert er vollmundig „die hauptstädtische und internationale Bedeutung“ der Berliner Kultur. Unterstützt werden sollen weiterhin die großen Bühnen mit fast 50 Millionen Euro jährlich und der Ausbau der Museumsinsel mit rund 24 Millionen Euro. Hinzu kommen die Bezirks- und Jugendtheaterarbeit, Geschichts- und Denkmalkultur (so die Topographie des Terrors mit 19 Millionen Euro, die Denkmalprojekte für Sinti und Roma, Homosexuelle, Rosa Luxemburg sowie für Zwangsarbeiter. Schließlich sollen die Gedenkstätten (etwa in Hohenschönhausen), die freie Szene (etwa Tanz- und Off-Theatergruppen) mit 1 Million Euro jährlich ab 2003 sowie vordringlich der „Kulturaustausch mit Osteuropa“ geförderet werden.

Die „Absichtserklärungen“, wie Kritiker mahnen, stehen auf tönernen Füßen. Eine Institution allein, verfolgt diese stur ihre Interessen, brächte den gesamten Kulturplafond von 375 Millionen Euro ins Wanken. Die nötigen baulichen und technischen Investitionen im dreistelligen Millionenbereich etwa für die Bühnenhäuser und die „Deckungslücke von 40 Millionen Euro“ als „Erblast“ vergangener Verschwendungspolitik etwa würde die anvisierten Projekte und versprochenen Subventionen vollständig gefährden, wenn nicht gar unmöglich machen.

Die Verhandlungen mit dem Bund über eine größere Beteiligung an den Lasten gehört zu den einfacheren Übungen zukünftiger Berliner Kulturpolitik. Mit der Bundesübernahme „gesamtstaatlicher Institutionen“ wie dem Jüdischen Museum, dem Haus der Kulturen der Welt der Festspiele GmbH oder der Zusage von Geldern für die Staatskapelle und das Deutsche-Symphonie-Orchester muss der Kultursenator nicht mehr hausieren gehen. Die Weichenstellungen dagegen, das „preußische Erbe“ (Flierl) loszuwerden, etwa den Wiederaufbau der Museumsinsel, des Schlossplatzes, der Staatsbibliothek Unter den Linden oder der Staatsoper bilden die kommenden Schritte in der „Entflechtungsdebatte“, nach der der Bund noch stärker in die finanzielle Verantwortung genommen werden soll.

Unterstützung erhält Flierl dafür nicht nur von den Politikern des Landes sondern auch von Hilmar Hoffmann, dem scheidenden Präsident des Goethe-Instituts. Hoffmann hat angeregt, dass Berlin seine Staatsoper (Sanierungsbedarf rund 100 Millionen Euro) wie beispielsweise das Jüdische Museum dem Bund überträgt. Während Staatsminister Nida-Rümelin sich bei den Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesittz (SPK) eine Neuregelung des Verhältnisses zwischen dem Bund und dem Land Berlin vorstellen kann und sich über die kulturelle Zukunft der Stadt verhandlungsbereit zeigt, stieß der Opernvorschlag dagegen bei ihm bisher auf wenig Gegenliebe

Den schwierigeren Part bildet für Flierl die hauptstädische Kultur selbst. Der Koalitionsvertrag hat dem Kultursenator die wenig glückliche Aufgabe zugedacht, zwei Theater schließen zu müssen (Hansa- und Schlossparktheater) sowie die Privatisierung des Theaters des Westens einzuleiten. Den gestoppten Bau der Berlinischen Galerie wird Flierl ebenso anschieben müssen wie die Sicherung noch bestehender bezirklicher Kulturarbeit und die Förderung der jungen Szene. Die schwerste Last bleibt auch Flierl nicht erspart, nämlich die anstehenden Renovierungen der Bibliotheken und Ostberliner Theaterbauten – und nach erfolglosen Versuchen, erneut eine Bühnenreform anzuvisieren.

Doch Kulturpolitik unter dem Damoklesschwert der Haushaltspleite bedeutet nicht nur einen Drahtseilakt, sondern ebenso eine Herausforderung, finanzielle und künstlerische Spielräume zugleich zu gewinnen. Das Forum Kultur könnte dafür einen Rahmen bieten, versammelt es doch die Akteure der Berliner Kultur und verlangt von diesen, Farbe zu bekennen. Die Bühnen werden – wollen sie nicht als Blockierer dastehen – Vorschläge zur Tarifpolitik, den Synergien zwischen den Häusern, Werkstätten, Depots sowie dem Marketing und zum Arbeitskräftepotential machen müssen. Die Verwaltungen, Künstler und die Off-Szene werden in die Verantwortung genommen, sich zu Modellen der Kulturförderung und deren innovativen Qualitätskriterien zu verhalten. Berliner Museen, wissenschaftliche und Denkmal-Initiativen sowie Bezirke haben die Aufgabe, sich zu den Perspektiven lokaler Kulturwirtschaft unter dem Aspekt ihrer Relevanz einzubringen. „Es ist Zeit für radikale Ideen“, formuliert der Rat der Künste die kulturpolitische Vision, deren gewaltige Leerstellen realistische Konzepte benötigt.

Dass Flierls kulturpolitische Devise „nicht nur sparen und schließen, sondern auch verändern“ lauten muss und er „Reformen anstrebt“, kann man ihm, seiner Staatssekretärin und den Akteuren des Forums nur wünschen. Für den Augenblick geht es in der Kulturpolitik noch um etwas anderes. Nämlich darum, das Wenige und Mögliche nicht aus der Hand zu geben.