Wenn das Kahlwild brunftet

Von der Deutschen Meisterschaft der Hirschrufer in der Dortmunder Westfalenhalle

Immer schön mit dem Arschleder an der Rinde entlangpirschen

Herr Rolf Kröger hat ein Anliegen. Der stramm im Lodenjanker steckende Redakteur der Flintenillustrierten „Wild und Hund“ wirbt bei der „nichtjagenden Bevölkerung“ um Verständnis. „Jagen ist nicht nur Bummbumm- Machen mit dem Gewehr.“ Vielmehr handele es sich um ein Handwerk, das Fachkenntnis, vor allem aber „die Liebe zur Sache selbst“ erfordere.

Dem Augenschein nach ist die waffenscheinlose Bevölkerung in der Minderheit. Das vor der „Jägermeister“-Aktionsbühne der Dortmunder Westfalenhalle versammelte Publikum ist dem Anlass entsprechend in Tarn- und Täuschtracht erschienen. Loden, Kniebundleder und Gamsbarthütchen sonder Zahl bezeugen Mitgliedschaft zur Waidmannschaft. Kaum ein Frauchen zeigt sich, dafür hat manches Herrchen seinen Münsterländer an der Leine. Aber die Jagd-Hunde sind hier nicht heiß auf Schweiß vom Wildstück, sondern allenfalls auf die Biskuits an den Fressi-Ständen der Futtermittelhersteller.

Die internationale Messe „Jagd und Hund“ stellte am Freitag zum vierten Mal den Rahmen für die „Deutschen Meisterschaften der Hirschrufer“. Zwischen „Trachten-Couture“, virtuellem „Bewegungsschießen auf dem Großwildparcours“ und „Isuzu-Allrad-Trooper“-Schau samt ausgestopftem Wildschwein auf dem Fanggrill wackeln Stundenlöhner mit mannsgroßen Plastik- “Jägermeister“-Flaschen in Richtung Bühne, um auf den Beginn des Wettbewerbes aufmerksam zu machen.

Sähe man nicht mit eigenen Augen, dass dort Hirschruf-Imitatoren die von Moderator Kröger beschworene Liebe zur Sache selbst in Laute fassen, könnte man sich auch auf der Jäger-Toilette nachts um halb drei wähnen. Die Sau ist verblasen, die Strecke gelegt und die Waidmänner beugen sich übers Würgebecken, um überschüssigen Jägermeister zu verklappen.

Es sind aber die neun Meisterschaftsanwärter, die sich warmrufen und „die schönste Musik für Jägerohren“ erklingen lassen, den Ruf des Hirschen. Jene „mit dem Lachen des Menschen am ehesten zu vergleichende Wesensäußerung“. – „Wenn das Kahlwild brunftet, lacht der Hirsch“, erklärt der fabelhafte Herr Kröger, „er gibt sich preis und ruft“. Wenn der Jäger es ihm nachmache, dann, um den Hirschen anzusprechen. Warum der Jäger mit dem Tier unbedingt noch sprechen will, bevor er es totschießt, erklärt Herr Kröger leider nicht. Noch ist das Warm-up der Meisterrufer ein unkoordiniertes Durcheinander. Zu groß scheint die Verletzungsgefahr, ginge man kalt in den Bewerb. Die Athleten stretchen die Röhren, dehnen die Kehlen, belecken ihre Instrumente – Muscheln, Papprollen und Ochsenhörner.

Die Kandidaten sind durchweg Mannsbilder im brunftfähigen Alter und haben sich in drei Disziplinen zu bewähren: 1. „Der alte Hirsch schreit bei Brunftbeginn herausfordernd und umkreist sein Rudel.“ 2. „Der Hirsch ruht am Brunftende erschöpft neben seinem Rudel. Er liegt im Bett, ist heiser und ohne Konkurrenz.“ 3. „Der Platzhirsch führt mit dem jungen Herausforderer eine aggressive Unterhaltung, Kampfgeschrei in höchster Erregung.“

Von den Teilnehmern durch eine spanische Wand getrennt, lauscht die vierköpfige Jury dem erstaunlichen Gepröte und vergibt nach jedem Ruf Noten zwischen 1 und 6. Schnell stellt sich heraus, dass Immo Ortlepp aus Wedemark mit seinem selbstgebastelten Instrument schwer zu schlagen sein wird. Insbesondere das hocherregte Kampfgeschrei der Konkurrenten gelingt ihm famos. Auf zwei ineinander verschiebbaren Papprollen simuliert er triebtreu die vibrierenden Luftröhren der Hirsche und sahnt durchweg hohe Benotungen ab. Die Preisrichter, Berufsjäger von hohen Graden, ziehen Fünfen und Sechsen. Die Spannung steigt, die Würgegeräusche werden intensiver und spielen jetzt überdeutlich ins Animalische. Man muss den Kandidaten wünschen, dass sie in freier Wildbahn stets die richtigen Worte finden. Wie schnell wird man im Tierreich falsch verstanden. Vielleicht nur ein leichter slawischer Akzent oder ein um eine Viertelnote zu hoch angelegter Seufzer und plötzlich hält der Platzhirsch einen für eine heiße Kuh. Da hieße es dann aber immer schön mit dem Arschleder an der Rinde entlangpirschen, bevor es zu schmerzhaften Übergriffen kommt.

Immo Ortlepp wird kurz vor Schluss noch auf den zweiten Platz verdrängt. Zum Deutschen Meister der Hirschrufer ernennt die Jury den durch ein 150 Jahre altes Ochsenhorn röhrenden Neuenwalder Wolfgang Sander. Unübertroffen und voller Leidenschaft seine hochsensible, heisere Glücksröchelimitation eines vom Rudelbefriedigen erschöpften Paschas. Sander nimmt aus der Hand Herrn Krögers glückstrahlend den Siegerpreis, ein “Qualitäts-Markenfernglas“ entgegen. Der knapp geschlagene Vizemeister darf sich mit einem edlen Hirschfänger trösten. Der lange Dolch wird Immo Ortlepp gute Dienste beim Wildaufbrechen leisten. Vielleicht schneidet er eines Tages einem auf seinen Zuruf erlegten Prachtstück eine Luftröhre raus, die noch größer ist als die, die er zu Demonstrationszwecken im Koffer mitführt und gerne herzeigt. Sie ist etwa 40 cm lang (ohne Kehlkopf), „eignet sich aber wegen ihrer Härte und Trockenheit nicht als Wettbewerbsinstrument“.

Herr Kröger ist sehr zufrieden. Nie habe man bisher ein derart geschlossenes Feld gehabt. Gute Qualität durchweg. Beste Aussichten für den nächsten Höhepunkt, die Europameisterschaften in Tschechien. Darauf einen Jägermeister.FRITZ ECKENGA