Fluch der frühen Führung

Titelaspirant Borussia Dortmund schießt ein schnelles Tor, lässt sich danach vom VfL Wolfsburg in Grund und Boden spielen und kommt dennoch mit einem äußerst glücklichen 1:1 davon

aus Wolfsburg MATTI LIESKE

„Wir wollten wie Wolfsburg spielen“, sagte Matthias Sammer einigermaßen kläglich, und für einen Moment geriet ein wenig aus dem Blickwinkel, wer hier eigentlich die Mannschaft war, die um die Meisterschaft kämpft, und welche jene, die verzweifelt versucht, den Anschluss an die obere Tabellenhälfte nicht wieder zu verlieren. 1:1 war die rasante Partie zwischen dem VfL Wolfsburg und den Dortmunder Borussen ausgegangen, doch deren Coach Matthias Sammer hätte sich nicht beschweren können, wenn sein Team mit 1:3 oder auch 1:4 verloren hätte.

Keine einzige Torchance spielte sich der mit teuren Stars gespickte und jetzt auch noch mit dem Bayern-Verschmäher Sebastian Kehl verstärkte BVB im gesamten Match heraus. Außer jener merkwürdigen in der 3. Minute, als Jörg Heinrich geschickt flankte, Jan Koller sich zum einzigen Mal an diesem Tag von seinen Gegenspielern lösen konnte, den Ball zwar an der Fußspitze vorbeirutschen ließ, Torhüter Claus Reitmaier damit aber so verwirrte, dass der die Kugel ins Tor kullern ließ. „Ich glaube, wir sind zu zeitig in Führung gegangen“, knurrte Sammer später, „danach haben wir nichts mehr von dem getan, was wir uns vorgenommen hatten.“

Während die Wolfsburger mit schnellem Kombinationsfußball und variablem Flügelspiel die stärkste Abwehr der Liga ein ums andere Mal genüsslich zerlegten und ein fröhliches Scheibenschießen auf das Tor des starken Jens Lehmann veranstalteten, war bei den Dortmundern von Spielkultur nichts zu sehen. „Wir haben zu wenig investiert“, meinte Sammer und bemängelte vor allem die ungenügende Laufarbeit. Auch als Regisseur Tomas Rosicky noch nicht verletzt vom Platz gegangen war (39.), erschöpfte sich der Spielaufbau bei den Gästen meist darin, hohe, weite Bogenlampen nach vorne zu wuchten und darauf zu hoffen, dass der lange Koller sie gefahrbringend mit dem Kopf verlängern würde. „Eine schlechte Leistung“, resümierte Sammer, „das Positive ist der Punktgewinn.“

Auch wenn die mitgereisten Dortmunder Journalisten sich einig waren, das miserabelste Saisonspiel der Borussia gesehen zu haben, war es keinesfalls das erste Mal, dass Sammer nach einem Bundesligamatch über die Seinen wie ein Rohrspatz schimpfte. Meist hatten sie trotzdem gewonnen, diesmal blieb ihnen immerhin die Niederlage erspart, da eine Mischung aus Torwartleistung, Glück und Wolfsburger Torschusspanik dafür sorgte, dass der BVB lediglich den Elfmetertreffer von Tomislav Maric hinnehmen mussten. „Andere, die oben stehen, haben hier einen Dreier bekommen“, erinnerte Sammer an das Schicksal von Leverkusen, Schalke und Kaiserslautern, „das ist uns erspart geblieben.“ Auch deshalb, weil seine Mannschaft immerhin „Charakter gezeigt“ habe, fand der Dortmunder Coach doch noch ein gutes Haar in der versalzenen Suppe.

Die souverän zur Schau getragene Contenance verlor Sammer nur ein einziges Mal, als die obligatorische Erkundigung nach den Meisterschaftschancen kam. „Diese Frage beantworte ich nicht jede Woche“, schnappte er los – und beantwortete sie dann doch. „Der Meister sieht auch mal schlecht aus“, dozierte er. „Wenn wir gegen Hertha gewinnen, denke ich nicht, wir sind die Größten, jetzt denke ich nicht, wir sind die Schlechtesten.“

Während die Wolfsburger ihr Missgeschick kaum fassen konnten und noch lange mit dem Schicksal in Gestalt ihrer zahllosen vergebenen Tormöglichkeiten haderten, waren die Dortmunder Spieler mit dem Resultat ebenso zufrieden wie ihr Coach. „Mit dem Punkt können wir leben“, sagte Christian Wörns, dem der schwabo-kroatische Strafraumwirbler Tomislav Maric in der nächsten Zeit wohl in manchem Alptraum erscheinen dürfte. Manager Michael Meier wagte sogar einen kleinen Scherz und erinnerte an die Pokalniederlage in der ersten Runde an gleicher Stelle: „Gegen Wolfsburgs Amateure haben wir hier verloren, insofern war das eine Steigerung.“

Im Gegensatz zu Sammer hat der Manager keine Probleme, die berüchtigte M-Frage zu beantworten: „Meister wird, wer solche Spiele nicht verliert.“ Dem mochte auch der tief enttäuschte VfL-Trainer Wolfgang Wolf nicht widersprechen. „So bleibt man oben, so ist man im Titelrennen dabei“, lobte er den Dortmunder Minimalismus, der für die Konkurrenten nichts Gutes verheißt. Könnte ja schließlich sein, dass die Borussen eines Tages auch noch anfangen, ihren Möglichkeiten entsprechend Fußball zu spielen.

VfL Wolfsburg: Reitmaier - Rytter, Biliskov, Franz, Weiser - Kühbauer, Sarpei, Munteanu - Ponte (88.Rau), Maric, Petrow (60. Klimowicz)Borussia Dortmund: Lehmann - Metzelder, Wörns, Dede - Evanilson (69. Amoroso), Reuter, Kehl, Heinrich - Rosicky (39. Stevic) - Ewerthon (80. Sörensen), KollerZuschauer: 17.226; Tore: 0:1 Heinrich (3.), 1:1 Maric (36./Foulelfmeter)