Allahu akbar – Gott ist groß

Teil 2 der Serie über unterschiedliche Wahrnehmungen von Islam und Kunst. Das tägliche Ritualgebet ist für die 26-jährige Aziza nicht zwingend notwendig, an Gott glaubt sie trotzdem

Gott allein bestimmt Maß und Ziel von Tag und Nacht. (Sure 73, Vers 20)

Gebetsteppiche, ähnlich dem aus dem Museum für Islamische Kunst, haben Azizas Eltern viele zu Hause. Darunter solche für den Alltag und die schönen, kostbaren für die besonderen Tage und für den Besuch. Was das mit Säulen umrankte Feld symbolisiert, weiß die 26-jährige Studentin aus Nürnberg nicht. Dass man daran einen Gebetsteppich erkennen kann, und dass der Teppich mit seiner Spitze nach Mekka ausgerichtet wird, hat sie allerdings schon als Kind gelernt. Mekka ist der Geburtsort Mohammeds und der Ort, an dem die Kaaba steht. Die Kaaba, ein schwarzer würfelförmiger Stein, wurde bereits in vorislamischer Zeit als Kultstätte verehrt. Um die Richtung nicht zu verfehlen ist auf einem der Teppiche bei ihren Eltern sogar ein Kompass angebracht.

Einer der Gebetsteppiche aus dem Museum für Islamische Kunst, den ich mir gemeinsam mit Aziza anschaute, ist wahrscheinlich aus der türkischen Stadt Bursa, die lange Zeit Zentrum für auf Seide geknüpfte Wollteppiche war. Der wohl in einer fürstlichen Hofwerkstatt entstandene osmanische Teppich stammt aus dem 16. Jahrhundert, ist aus 15 Fragmenten zusammengesetzt und auf der Hauptborte und den Bogenzwickeln reichlich mit osmanischen Blumen verziert. Zwei Säulen, die auf perspektivisch dargestellten Basen stehen, tragen den reich bewegten Bogen. So entsteht die für Gebetsteppiche typische Nischenform.

Die Symbolik der Nische entstammt der Sure 24, Vers 35, dem so genannten Lichtvers: „Gott ist das Licht von Himmel und Erde. Sein Licht ist einer Nische zu vergleichen, mit einer Lampe darin.“ Diese Lampe, die Moscheeampel, fehlt auf diesem Teppich, kann jedoch auf vielen anderen im Museum für Islamische Kunst bewundert werden.

Im inneren Feld der Nische wird auf jede Darstellung verzichtet. Damit wird der Forderung entsprochen, den Betenden bei der Begegnung mit Gott nicht abzulenken. Im Gebet selbst steht der Gläubige nämlich unmittelbar vor dem Antlitz Allahs.

Die Gebetsrichtung stellt zwischen dem Gläubigem und Gott einen symbolischen „Blickkontakt“ her. Schon das Wort „Islam“, das von der gleichen Wortwurzel wie Salam, Frieden, stammt, bedeutet unter anderem „Hinwendung“. Das Gesicht des Gläubigen wendet sich im täglichen rituellen Gebet zu Allah.

Nach dem Museumsbesuch erzählt Aziza mir, dass sie bei ihren gläubigen sunnitischen Eltern in Nürnberg aufgewachsen ist und dort in die Koranschule ging. Später, als eine nicht mehr praktizierende, doch gläubige Muslimin türkischer Herkunft zog sie dann – gegen anfänglichen Widerwillen ihrer Eltern – zum Studium nach Berlin. Durch ihre religiöse Erziehung ist sie trotz fehlender Praxis gut über die Gesetze zum fünfmaligen rituellen Gebet informiert: „Festgelegte Gebetszeiten und rituelle Waschung gehören dazu.“ Außerdem sind für das Gebet ein genau geregelter Ablauf und ein sauberer Untergrund, wie etwa ein Gebetsteppich oder eine Zeitung vorgeschrieben. „Und dann“, so Aziza weiter über die Bestimmungen zum Ritualgebet, „gibt es da noch die Regeln für die menstruierenden Frauen, die Kranken und Reisenden.“ Sie brauchen die Zeiten nicht einzuhalten, wenn sie in ihrem jeweiligen Ausnahmezustand sind, sondern können die Gebete zu anderen Zeiten nachholen.

Wenn ein gläubiger Muslim trotzdem auf Reisen beten möchte, bringt das in der Regel keine Probleme mit sich. Fluggesellschaften aus islamischen Ländern etwa bieten einen besonderen Service an. Sie haben Monitore installiert, auf denen während des Flugs die sich ständig ändernde Gebetsrichtung angezeigt wird.

Für Frauen gelten bei vielen religiösen Praktiken besonderen Regeln. So ist für sie das Gebet im Haus und nicht in der Moschee eher der Normalfall, obgleich Frauen ihre eigenen Orte in der Moschee haben. Dort gibt es für Musliminnen bestimmte Eingänge, Beträume oder Emporen, die vom großen Gebetssaal der Männer abgetrennt sind.

Ob Aziza in den Regeln des Ritualgebets eine frauenfeindliche Praxis sieht, will ich während unseres Gesprächs von ihr wissen. Denn schließlich, so meine Kritik, würden Frauen oft aufgrund ihrer vermeintlichen Unreinheit – ihrer Menstruation – von sozialen Machtpositionen ausgeschlossen. Doch meine Gesprächspartnerin reagiert unerwartet: „Für mich war es früher in meiner Jugend, wenn ich vielleicht für andere als unrein galt, immer eine Erleichterung, nicht fasten oder beten zu müssen.“ Denn, so gibt mir Aziza unter Augenzwinkern zu verstehen, jeder Gläubige müsse sein eigenes Handeln vor Gott verantworten. Ob er die religiösen Pflichten einhält oder nicht. Und „Allahu akbar“, „Gott ist groß“!

SUSAN KAMEL