Eiernde Achse des Guten

Kopfschütteln in der Kaffeepause: den europäischen Verbündeten ist die Kampfeslust der USA nicht ganz geheuer

aus München PATRIK SCHWARZ

Der Krieg war niemals fern auf einer Veranstaltung, die jahrzehntelang Wehrkundetagung hieß. Doch so offen, fast schon euphorisch wie auf dieser 38. Münchner Sicherheitskonferenz wurde er schon lange nicht mehr ausgerufen. Dabei haben sich die 250 Herren – und wenigen Damen – mit dem Afghanistankrieg gar nicht erst groß aufgehalten. Wenn sie von Kriegen sprachen, meinten sie Schlachten, die noch darauf warten, geführt zu werden – teils offen, teils verdeckt, teils alleine, teils im Bündnis mit anderen – solange, bis sie in ihrer Summe zum großen Sieg über den Terrorismus führen.

Doch die Begeisterung war eine geteilte. In München trat ein Split zwischen Europäern und Amerikanern zu Tage, wie er seit dem 11. September so deutlich nicht zu beobachten war. „Wir sind im Krieg“, proklamierte Paul Wolfowitz, der stellvertretende US-Verteidigungsminister sowie härtester Verfechter von Washingtons harter Linie, „und machen Sie sich keine Sorgen, der Feldzug geht weiter.“ Von einem „Weltkrieg gegen den Terrorismus“ sprach der demokratische Senator Joseph Lieberman, und sein republikanischer Kollege John McCain warnte davor, in den Ankündigungen nur Rhetorik zu sehen: „Fragen Sie einfach die Taliban!“

Die Europäer wollten in München die Fortsetzung des Anti-Terror-Kriegs zwar nicht grundsätzlich in Frage stellen, trugen aber immer wieder zwei Sorgen vor: Dass die USA die Terrorbekämpfung auf die militärische Auseinandersetzung beschränken könnte – und sich um eine Einbindung Europas nicht scherten. Zwar beteuerte Nato-Generalsekretär George Robertson in München unermüdlich die Bedeutung des Bündnisses und mahnte die europäischen Nato-Staaten zur Aufrüstung, um mit den USA militärisch mithalten zu können. Doch US-Präsident George Bush habe in seiner jüngsten Rede zum Anti-Terror-Krieg Europa nur ein einziges Mal erwähnt, und das in einem Atemzug mit Afrika und Lateinamerika, spottete François Heisbourg vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik. „Wem soll ich glauben: Bushs Schweigen oder Robertsons Reden?“

Wolfowitz und McCain ließen die Europäer nicht im Ungewissen. Die Europäer werden immer dann außen vor bleiben, wenn sie als Bedenkenträger die USA an ihrer wichtigsten Mission hindern: einer entschiedenen Verfolgung der Terroristen. Die Mission entscheide über die Koalition, nicht umgekehrt. „Eines verspreche ich Ihnen: Wenn wir uns entscheiden müssen zwischen einem effizienten Schutz gegen Terrorismus und einer langen Liste von Freunden“, sagte der Hardliner Richard Perle, „dann werden wir uns für den effizienten Schutz entscheiden.“

Umstritten war vor allem die jüngste Bush-Rede, in der er Irak, Iran und Nordkorea als „Achse des Bösen“ bezeichnet hatte. Selbstverteidigung, so sprang Wolfowitz seinem Präsidenten bei, erfordert nicht nur Vorbeugung, sondern manchmal auch einen Erstschlag. „Die beste Verteidigung ist ein guter Angriff.“ Der Vietnam-Veteran McCain skizzierte gar die konkrete militärische Strategie, die sich ausdrücklich am Vorbild des Afghanistanfeldzugs orientiert: überlegene Luftangriffe, Spezialstreitkräfte am Boden und Fußtruppen aus Aufständischen, die in den irakischen Flugverbotszonen Schutz vor Husseins Armee gefunden haben. Nur einen Unterschied zu Afghanistan sieht McCain voraus: die Zahl der amerikanischen Opfer könnte deutlich höher ausfallen.

Der Widerspruch der Europäer war unüberhörbar, kam aber eher aus der zweiten Reihe. Nato-Minister streiten ungern auf offener Bühne. So meldeten vor allem Abgeordnete wie der Brite Menzies Campbell oder Experten wie der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Vorbehalte an. Gerade im Fall des Irak habe die Mischung aus Umzingelung und Abschreckung gut funktioniert, wendet Campbell ein. Für einen Angriff brauche es da schon „unwiderlegbare Beweise“. McCain hält dagegen, die Beherbergung von Terroristen und die Herstellung von ABC-Waffen reiche als Casus Belli, als Kriegsgrund aus. Der BND-Chef August Hanning warnt in einem überraschend deutlichen Beitrag vor dem Irrglauben, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen ließe sich am besten mit Militäreinsätzen verhindern. „Wir kennen die Firmen, wir kennen die Hintermänner“, sagt der Präsident der deutschen Auslandsspionage und deutete an, der Zugriff scheitere eher an politischen Rücksichtnahmen des Westens, etwa auf die neuen Bündnispartner Pakistan und Indien.

Die meisten Deutschen wichen vor dem Ansturm amerikanischer Kampfeslust erst mal in die Kaffeepause aus. Die Idee von der Achse des Bösen stößt bei ihnen auf wenig Gegenliebe. „Das ist natürlich Quatsch“, entfährt es Karsten Voigt, dem Koordinator für deutsch-amerikanische Beziehungen. Wie ein „verwundeter Stier“ verhalte sich Amerika, meint kopfschüttelnd ein Beamter, der in Berlin zum engsten Kreis der deutschen Anti-Terror-Front gehört. Kurzsichtig und wenig effektiv sei es, vor allem auf die militärische Option zu setzen. Einer der höchsten deutschen Diplomaten versteht vor allem die Erwähnung des Iran nicht, wo sich doch unter Chatami eine liberale Strömung zu etablieren versucht. Tatsächlich gab es nach 1989 auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz Phasen, wo die Reden deutlich weniger wehrhaft daherkamen und in den Gesprächsrunden manchmal sogar das Vokabular von Deeskalation, Kooperation und Verständigung die Oberhand gewann.

Die „Achse des Bösen“ klingt freilich auch in amerikanischen Ohren so schrill, dass Politiker und Medien in Washington Zweifel äußern, ob der Präsident wusste, was er tat. Leon Fuerth hat als außenpolitischer Chefberater des Demokraten Al Gore dessen Rivalen Bush lange beobachtet. „Ich glaube, er meinte, was er sagte, als er es sagte“, spottete Fuerth auf der Sicherheitskonferenz, „aber ich bin weniger sicher, ob er es immer noch meint, wenn ihm klar wird, was es für Konsequenzen hat.“