Pixel für alle

■ Von gefälschten Landschaftsbildern bis zur Erfindung des „Digitalismus“: Petrus Wandrey in Bremen

Petrus Wandrey ist ein erfolgreicher Künstler. Wie sonst soll man einen Mann beschreiben, der an der Hamburger Rothenbaumchaussee ein palastartiges Altbau-Atelier betreibt und Unternehemen wie Philipps, Siemens oder die Dresdner Bank zu seinen Auftraggebern zählt.

Petrus Wandrey stellt derzeit in Bremen aus. Aber erst soll dargestellt werden, wie der Mann zu seinem Erfolg kam – es war ein weiter Weg. Wandreys Lebenslauf erzählt von der Schulzeit im Internat für schwer erziehbare Kinder in St. Peter Ording, vom Fälschen der Landschaftsbilder aus dem Wohnzimmer seiner Eltern und von der „Nachbildung volkstümlicher Gegenstände“, die der 19-Jährige unter die Sammler brachte. Dann das Sichdurchschlagen als Antiquitätenhändler und Designer für Schallplatten-Cover, wodurch das Kunststudium in Hamburg finanziell möglich wurde. Ab 1969 vermerkt die Vita „surrealistische Lebens- und Arbeitsform“.

Deren Höhepunkt und Wende ist ein Besuch 1978 bei Salvador Dalí. In dessen Domizil im katalanischen Figueras erlebt Wandrey höchste Anerkennung: Der Meister erkennt den Schüler an und nimmt Wandreys „Venus Wind“ in seinen berühmten May-West-Room auf.

Dalí ist begeistert von der Bearbeitung der antiken „Venus von Milo“, der bei Wandrey Kaminfeuer aus den Nasenlöchern quillt, die mit Renaissance-Karaffen, einer Barockuhr und echten Siemensventilatoren als künstlerisch freiem Ersatz für die den Archäologen abhanden gekommenen Hände in ein neues Bezugsdiagramm gestellt ist.

Doch Dalí geht noch weiter. Wandrey verrät: „Er hat mich beauftragt, eine neue Formensprache zu erfinden.“ Den „Digitalismus“. Und der geht so: Wandrey stellt die Welt in Pixeln dar, verfremdet auf diese Weise Altbekanntes mit möglichst groben digitalen Schritten und macht erst kurz vor dem finalen Schritt – der Mensch als einzelnes Quadrat – Halt.

Die Zackigkeit seiner Pixel-Konturen schneidet in gewohnte Sehmuster. „Splash III“ zum Beispiel bezeichnet einen schwarzen Fleck, der an Luthers Tintenfass-wurf erinnert, allerdings mit digital geeckten Rändern. „Wir sind Zeitzeugen des Beginns der digitalen Epoche“ kommentiert der Künstler, der besonders die Globalität dieser „neuen Welt der Ästhetik“ schätzt. Pixel gibt es überall.

Petrus Wandrey ist selbst ein Gesamtkunstwerk, der sogar seine eigene Mode von digitalen Schaltplänen bestimmen lässt. Aber, wohlgemerkt: Wandrey ist kein Computerkünstler, der mit Hilfe von ausgetüftelter Software komplizierte oder gar animierte Strukturen entwirft. Sein Begriff von „Digitalismus“ ist viel handfester. Da gibt es etwa „Ancestor“, die entzückende Damen-Büste, aus alten Festplatten zusammenmontiert. Sein Vorzugs-Material also ist Hardware, und so verarbeitet der 62-Jährige Leiterplatten, Laserdiscs, Mikrochips und Kabelbündel.

Wandrey hat Visionen. Mit „Casa Digitalis“ umschreibt er seinen Traum von einer Lebenswelt voller hochwertiger Architekturen, in denen menschenwürdiges Leben möglich sei – selbstverständlich inklusive des erprobten Pixel-Designs. Hier wird Wandrey ganz „uomo universale“, der grenzensprengende Künstler der Renaissance, der Disziplinen überschreitet und Lebensräume schafft.

Wer so viel Neues denkt, muss Altes verwerfen. In der Tat: Wandrey ist ein Mann der ungeschminkten Kulturkritik. Ob er den „Verwesungslook“ anprangert oder das Starwesen mit Leuten, „denen lediglich ein ästhetisches Hinterteil zur Verfügung steht“ – der Künstler wird nicht müde, seine Verachtung für den „ungeheuren Qualitätsverlust“ in der heutigen Kunst zu betonen: „Ganz schlimm sind die Leute, die drei rostige Nägel zusammenlöten und dann ein Stück Schinken dran hängen.“

Wie kommt ein Mann wie Wandrey ins Rotkreuz-Krankenhaus? Es ist das Verdienst von Dr. h.c. Horst Hinderlich, seines Zeichens Verwaltungsdirektor des 350-Betten-Hauses. Der umtriebige Mann hat die alte Cafeteria am See 1997 zum schicken „Café K“ umbauen lassen. Seitdem lockt sie mit regelmäßigen Kulturveranstaltungen. In Kooperation mit dem Verdener Galeristen Torsten Sabatier bemüht man sich um herausragende Künstler – so war unter Wandreys sechs Ausstellungs-Vorgängern auch Ernst Fuchs aus Wien. Wandreys Kommentar zu Hinderlichs Ausstellungs-Aktivitäten: „Das ist nicht nur hervorragend sondern auch frauvorragend.“ Digitalismus ist p.c. Henning Bleyl

Bis Ende April im „Café K“ des DRK-Krankenhauses am St.-Pauli-Deich 24. Ein Katalog ist in Form eines Postkarten-Sets für fünf Euro zu erwerben, auch die einzelnen Arbeiten sind verkäuflich