straight aus dem medienpark
Tauchen mit den Höflichen Paparazzi
: Neugier auf die Neugier

Man kann viel lamentieren über den allgemeinen Schwund einer schönen, altmodischen und das Leben erträglicher machenden Verhaltensweise, über den Niedergang der Höflichkeit. Wer ein unverdrossener Anhänger von Höflichkeit, aber auch ein Liebhaber von Klatsch und Tratsch ist, wer sich aber aufgrund seiner guten Erziehung höchstens beim Zahnarzt traut, heimlich in der Bunten oder der Gala zu blättern, wer sich auf den Klatschseiten der Berliner Regenbogenpresse wegen ihres unflätigen Tonfalls nicht so richtig abgeholt fühlt, für den gibt es die richtige Abwechslung, eine Homepage aus Berlin mit dem schönen Namen www.hoefliche-paparazzi.de.

Bei den Höfllichen Paparazzi handelt es sich um eine im Untergrund agierende Gruppe, die binnen eines Jahres im Internet hunderte Geschichten von Begegnungen mit Prominenten aus aller Welt in aller Welt zusammengetragen hat: „Hier finden Sie Geschichten über Berühmtheiten, wie sie bislang niemand erzählt hat. Denn wir suchen Protokolle von Menschen, die eine zufällige, kleine Begegnung mit Berühmtheiten hatten, also keine mutwillig herbeigeführten, groupieesken oder professionellen. Je dezenter, desto besser“, heißt es auf der Startseite. Die Höflichen Paparazzi verstecken sich meistens und tragen Namen, wie man sie sich schon bei präpubertären Versuchen gab, als wichtiger Geheimbund aufzutreten: „Rron Calli“ heißt zum Beispiel einer, es gibt eine „Mieze“ und eine „Frau H aus B“.

Wenn man auch aus den Gewohnheiten der vergleichbaren Fanzinekultur ableiten kann, dass sich hinter einem Gros der männlichen Pseudonyme der Höflichen Paparazzi der Zeichner und Drahtzieher der Homepage Tex Rubinowitz verbirgt und hinter vielen weiblichen die Kolumnistin und Moderatorin der Homepage Kathrin Passig, wenn also diese Homepage zwar manchmal einen albernen Anstrich hat: Alles in allem stellt sich doch eine so unterhaltsame Schlaufe der Neugier auf die Neugier ein, dass man locker mal ein paar Stunden mit ihr tauchen gehen kann und sich hinterher gar nicht mehr so einsam fühlt in seiner privaten Nische, in der es nichts zu tratschen gibt.

Nun ist es ja ganz besonders in Berlin so, dass man seine passiven Klatschbedürfnisse kaum ausleben kann, noch weniger kommt man hier aber mit seinen aktiven Klatschbedürfnissen auf seine Kosten. Wie oft führt man ein Telefongespräch mit guten Freunden und wie oft passiert es, dass man an diese berühmte Stelle gelangt, wo eigentlich Sensationslust dran wäre, aber ach, wieder nichts erlebt, wieder keinen Promi getroffen, wieder nichts zu berichten.

Von den Höflichen Paparazzi lernt man nun aber, dass es nicht an Berlin liegt, es liegt an der mangelnden Aufnahmefähigkeit jedes einzelnen selbst. Öffen deine Augen und du wirst sehen, was du sehen willst, lehren sie uns, und sei es in Berlin.

Und was es alles zu sehen gibt: Die Ärzte haben auf Partys gern schabrackige Junkie-Frauen dabei, erfährt man, Heiner Müller liebte es, beim Pinkeln zu rauchen, Meret Becker klatscht sich gern in Gesellschaft auf die Schenkel, Nena findet Schuhe, die ihr gefallen „sexi-hexi“, Jürgen Trittin verschenkt gern spontan umweltschonende Radios, Otto Sander sinniert gern über das Knopfloch seines maßgeschneiderten Anzugs und Ben Becker ist einer der „ganz, ganz wenigen Gründe, warum ein vernunftsbegabter Mensch erwägen könnte, Berlin zu verlassen“.

Wer es immer noch nicht glaubt, dass man in Berlin an jeder Straßenecke einen tollen Promi treffen kann, der denke sich selbst was aus oder begebe sich einfach ins KaDeWe. Hier kann man, so „Der Tubist“, an einem einzigen Nachmittag Manfred Krug, Olaf Henkel, Friedrich von Thun und Olaf Henkel treffen. „Nicht schlecht, was? Das ist die Hauptstadt!“ SUSANNE MESSMER