Ein Abenteurer mit Grundsätzen

Gunter Holzmann war Goldgräber, Holzhändler und Kämpfer für eine lebenswerte Welt. Lest seine Autobiografie!

Wenn ein Mensch 1912 geboren wurde und 89 Jahre alt geworden ist und wenn er dann noch neben den vielen Jahrzehnten scharfe und kritische Beobachtungen aus zwei Kontinenten mitbringt – dann hat er das Zeug zum „Zeugen des Jahrhunderts“. So wie Gunter Holzmann.

Er war nicht nur eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die einige der besten Traditionen der europäischen Linken verkörperte, er hat – vielleicht eine Konsequenz dieser Tradition – am Ende seines Lebens der Zeitung Le Monde diplomatique mit einer Spende von einer Million Dollar ermöglicht, „für immer unabhängig von jeder Kapitalintervention zu bleiben“ und außerdem in mehreren Sprachen zu erscheinen (so auch seit 1995 auf Deutsch als Beilage der taz).

Was das für ein Mann war, der da auf seine alten Tage sein Vermögen einem solchen Projekt stiftete, darüber gibt die Autobiografie Holzmanns Auskunft, deren deutsche Ausgabe vor kurzem erschienen ist. Es ist eines von diesen Büchern, wie man sie gerne häufiger lesen würde. Denn kaum etwas macht Geschichte so plastisch wie die Autobiografien von intelligenten und originellen alten Menschen, die etwas zu erzählen haben.

Holzmann widmet sein Zeitzeugnis „allen Idealisten, die man Fantasten, Träumer und Weltverbesserer nennt … die sich noch nicht verkauft haben … und die für eine gerechtere und menschlichere Welt kämpfen.“ Das klingt pathetisch und doch ist sein Lebensbericht nicht nur hehres Zeugnis eines edlen Lebenswegs. Vielmehr erzählt er die Geschichte eines Abenteurers mit Grundsätzen, mit nie versiegender Neugier und offenen Augen für die Nöte und Hoffnungen der Menschen.

Schon als Student aus bürgerlichem preußisch-jüdischem Haus reist Holzmann wissbegierig durch Europa. Gleichzeitig engagiert er sich politisch gegen die Nazis. Sein Medizinstudium in Cambridge bricht er 1936 ab, um Europa auf der Fluch vor dem Faschismus zu verlassen und sich in Südamerika eine neue Existenz aufzubauen. Die Beschreibungen Perus und Boliviens, wo der junge Emigrant in den Dreißiger- und Vierzigerjahren Fuß zu fassen versucht und sich in den verschiedensten Berufen tummelt, vermitteln ein Südamerikabild, wie es höchstens noch in einigen alten Abenteuerromanen zu finden ist. Holzmann kommt mit Zinnbaronen und Mitgliedern der Oberschicht ebenso zusammen wie mit Minenarbeitern und indianischen Ureinwohnern. Er arbeitet als Ingenieur in den großen Bergwerken und als Goldgräber auf eigene Faust. Er bereist das Amazonasgebiet und das bolivianische Tiefland – Gegenden, die kaum jemand je besucht hat. Schließlich, nachdem er einige Jahre ins Nachkriegsdeutschland zurückgekehrt ist, lässt er sich in Santa Cruz nieder, das damals, in den Fünfzigerjahren, nicht viel mehr ist als ein großes Dorf – heute ist es die Millionmetropole Boliviens.

Holzmann wird Holzhändler und heiratet in eine alteingesessene Familie ein. Als angesehener Bürger der Stadt gestaltet er in den folgenden Jahrzehnten deren Aufschwung mit. Denn trotz vieler Krankheiten treibt es den rastlosen Tatmenschen immer wieder dazu, einzugreifen. Er organisiert das kulturelle Leben seiner neuen Heimatstadt, aber auch die Müllabfuhr, er entwickelt aus dem Gift von Ameisen ein Mittel gegen Gelenkrheumatismus, er engagiert sich für den Umweltschutz und die Menschenrechte. Und er unternimmt bis ins hohe Alter immer wieder Expeditionen in die kaum bewohnten Gebiete im Osten Boliviens. Nebenbei ist er ist ein aufmerksamer und kluger Analytiker der politischen Entwicklungen in seiner neuen Heimat, wobei ihm seine vielen Reisen nach Europa helfen, diese Politik auch im globalen Zusammenhang zu sehen.

Die lange und aufregende Lebensgeschichte dieses beeindruckenden Mannes gewährt einen Einblick in Erfahrungen, von denen viele in Europa kaum etwas ahnen. Damit wird diese Autobiografie zum zweiten aufklärerischen Vermächtnis des Gunter Holzmann – neben seiner Schenkung an Le Monde diplomatique.

THOMAS PAMPUCH

Gunter Holzmann: „Und es beginnt eine neuer Tag. Autobiografie“, 368 S., Rotpunktverlag, Zürich 2001, 17 €