vorlauf
: Jungfrauen gibt‘s im Jenseits

„Die geschlossenen Türen“

(Arte, 22.40 Uhr)

Aus welchen Gründen wird ein netter, liebenswerter Junge zum fundamentalistischen Eiferer, der im Dienst seiner Religion Menschen tötet? Atef Hetatas Drama beschäftigt sich mit den sozialen Widersprüchen der ägyptischen Gesellschaft zur Zeit des Golfkriegs. Dennoch vermag er damit manche Frage zu beantworten, die das Attentat vom 11. September aufgeworfen hat.

Der Spielfilm „Die geschlossenen Türen“ schildert die Geschichte des Jungen Mohammed (Ahmed Asmi), der von einer emanzipierten arabischen Mutter großgezogen wird. Der 16-Jährige wird mit sämtlichen Rissen konfrontiert, die sich durch die islamische Gesellschaft ziehen. In der Schule gibt es Schläge auf die ausgestreckte Hand; der Lehrer macht Mohammed vor der Klasse lächerlich, weil er einen gar zu harmlosen Aufsatz über Brieftauben schreibt.

Seine Mutter Fatma (Sawsan Badr), die zunächst als Dienstmädchen ihr Brot verdient, setzt sich gegen die sexuelle Anmache ihres Dienstherrn zur Wehr und wird arbeitslos. Mohammed wächst in einem Umfeld auf, in dem die Verwendung eines Lippenstifts bereits als Todsünde gilt. Mit Sex geht die Gesellschaft ganz verklemmt um. Und Sex ist stets gekoppelt an ökonomische Abhängigkeiten: Fatmas attraktive Nachbarin geht auf den Strich, weil ihr Mann arbeitslos ist.

Nachmittags in der Koranschule wird der Junge in die Riten einer rigiden Männergesellschaft eingewiesen, die für das Jenseits verspricht, was im Diesseits verboten ist: Im Paradies stünden jedem Mann 4.000 Jungfrauen, 8.000 Witwen und 100 Sklavinnen zur Verfügung. Der Film zeigt die fatalen Auswirkungen dieser Doppelmoral. Jungs wie Mohammed, durch religiöse Fanatiker einerseits genötigt, eigene sexuellen Wünsche zu verdrängen, werden andererseits zum Herrscher über die Frau erklärt. Als der Junge als Rosenverkäufer eigenes Geld verdient, um das Haushaltsgeld für seine Mutter heranzuschaffen, verliert er jeden Realitätssinn. Hetatas eindringliches Gesellschaftsdrama regt mit der lebendigen Schilderung einer verpfuschten Kindheit zum Nachdenken an. GITTA DÜPERTHAL