IWF-Riesenkredit für die Türkei

Bis 2005 wurden 16 Milliarden Dollar bewilligt. Ein Drittel fließt in Schuldentilgung. Mit dem Rest sollen marode Banken saniert werden. Kritiker befürchten Vetterwirtschaft

ISTANBUL taz ■ Mit Erleichterung, aber vereinzelt auch kritischen Tönen, reagierte die türkische Öffentlichkeit auf die Entscheidung des Internationalen Währungsfonds (IWF), dem Land weitere 16 Milliarden Dollar Kredit in den nächsten drei Jahren auszuzahlen. Vor allem Kemal Dervis, dem Chefökonomen der türkischen Regierung, war die Freude anzusehen, als er gestern die Nachricht aus Washington kommentierte und sagte: „Wir haben das Vertrauen des IWF verdient, die Türkei ist dabei, ihre finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen.“ Um diese optimistische Haltung zu unterstreichen, werden von den 9 Milliarden Dollar, die der Fonds sofort zur Verfügung stellt, rund 5 Milliarden gleich in Washington bleiben, um vorzeitig Schulden aus den letzten beiden Jahren zu tilgen.

Mit den verbleibenden 4 Milliarden will Dervis vier angeschlage Großbanken sanieren – gegen heftigen Widerstand der Opposition, eines Teils der Industrie, der eigenen Regierung und des Staatspräsidenten. Damit soll der Finanzsektor wieder stabilisiert werden. Ein Bankenkrach hatte vor fast genau einem Jahr die schwerste Wirtschaftkrise in der Geschichte der türkischen Republik ausgelöst, weshalb der IWF die Reorganisation und Umstrukturierung des gesamten Bankensektors zur Vorausetzung für seinen kurzfristigen Hilfskredit gemacht hat. Kritiker in der Türkei werfen Dervis dagegen vor, mit der immensen Summe von 4 Milliarden Dollar nur wieder regierungstreue Kumpane zu bedienen. Statt den Banken das Geld in den Rachen zu schmeißen, sollte man lieber die am Boden liegende Produktion im Land ankurbeln.

Tatsächlich hat der strikt monetaristische, also auf stabiles Geld abzielende Kurs, den Dervis im Auftrag des IWF fährt, zwar dazu geführt, dass der Verfall der türkischen Lira gestoppt wurde. Sie legt seit Wochen gegenüber dem Dollar und dem Euro wieder zu. Auf der anderen Seite hat die Krise tausende von kleinen Unternehmen in den Bankrott getrieben und 1,5 Millionen Menschen arbeitslos gemacht, ohne dass der Staat sich ihrer annehmen würde. Das Krisenprogramm von Dervis lässt den Mittelstand und die Armen in ein tiefes Loch fallen.

Während Dervis behauptet, die Früchte des Sanierungsprogramms würden sich bald für alle auszahlen, befürchtet sein Regierungschef Bülent Ecevit dagegen, alle bisherigen Bemühungen könnten durch einen Angriff der USA auf den Nachbarstaat Irak wieder zerschlagen werden. Dass die Türkei mit jetzt insgesamt 31 Milliarden Dollar der mit Abstand größte Schuldner des IWF werden konnte (der zweitgrößte ist Argentinien mit 22 Milliarden), hat nach Meinung fast aller Experten auch damit zu tun, dass Washington die Türkei für den kommenden Krieg im Boot halten will.

JÜRGEN GOTTSCHLICH