Opel Vectra soll Rüsselsheim retten

Zur Eröffnung des neuen Werks „Leanfield“ kam gestern auch der Kanzler. Das neue Modell von Opel testete er auf dem Weg dorthin gleich selbst. Trotz Aufbruchstimmung: 3.000 Leute verlieren dieses Jahr ihren Job, weitere Arbeitsplätze gefährdet

aus Rüsselsheim KLAUS-PETER-KLINGELSCHMITT

Der Bundeskanzler schrieb gestern bei Opel in Rüsselsheim ein Stück Schöpfungsgeschichte. Zusammen mit Opel-Boss Carl-Peter Forster, dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Klaus Franz und dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) drehte Gerhard Schröder (SPD) unter Blitzlichtgewitter so lange ein gewaltiges Schwungrad, bis die Funken sprühten, ein „Urknall“ die Fabrik erschütterte – und die Bänder für die Produktion des neuen Vectra fingen an zu laufen und zu laufen und zu laufen – zur Feuerwerksmusik von Händel.

Was für ein Event. Als der Vorhang gefallen war, stand eine abgeordnete Hundertschaft der rund 6.000 Beschäftigten von „Leanfield“ – so heißt die neue Automobilschmiede in Form eines halben Sterns – aufgereiht wie die Orgelpfeifen und die Daumen optimistisch nach oben gestreckt in schicken „Graumännern“ vor den Förderbändern. Und die noch hohlen Autogerippe aus Stahl und Aluminium schwebten über ihren Köpfen durch die klinisch reine Fabrik. Der Kanzler saß da schon im neuen Vectra: für die Fotografen und Kameraleute. Forsch hatte er sich bereits am Flughafen hinter das Steuer des „Hoffnungsträgers“ (Forster) von Opel geklemmt und war die rund 25 Kilometer bis nach Rüsselsheim als Testpilot unterwegs; sehr zum Leidwesen seiner Security-Leute, die im panzerverglasten Kanzler-Mercedes hinterhereilten.

Mitgebracht hatte er nichts nach Rüsselsheim. Schon Foster hatte kritisch angemerkt, dass Opel und die Mutterfirma General Motors (GM) 750 Millionen Euro, die das „modernste Automobilfertigungswerk der Welt“ an Inverstitionskosten verschlugen habe, ganz alleine hätten aufbringen müssen – ganz ohne Investitionshilfen. Dafür verteilte Schröder Lob an alle: Mit dem neuen Werk und dem neuen Auto habe sich Opel „in der Spitze zurückgemeldet“. Die Basis dafür sei der von den Betriebsräten ausgehandelte Standortsicherungsvertrag gewesen. Tatsächlich wollten GM in Detroit zunächst ein Opelwerk auf der grünen Wiese bauen. Das wäre sie angeblich billiger gekommen.

Opels neuer Slogan heißt „frisches Denken“. In einem Spot besinnen sich die Autobauer zunächst auf die – gute – Tradition. Das zweiterfolgreichste Nachkriegsauto, der „Kadett“, ist darin zu sehen, der legendäre „Manta“ und das Kultauto „GT“ mit den Schlummeraugen. „Leanfield“ und der neue Vectra weisen den Weg in eine „bessere Zukunft“. Forster: „Wir halten am Standort Rüsselsheim fest.“ Vor genau 140 Jahren gündete Adam Opel in einem Kuhstall in der Ochsengasse die Fabrik.

Der Kanzler streichelt danach die Belegschaft. Ihr Fachwissen und ihre permanente Bereitschaft zur (Um-)Schulung seien die eigentlichen Garanten für den Erhalt des Industriestandortes Deutschland. Dass die angeblich dauerhafte Sicherung von 6.000 Arbeitsplätzen in Rüsselsheim durch die Inbetriebnahme von „Leanfield“ – dort können vier Produktionslinien gleichzeitig gefahren werden – Arbeitsplätze an anderen Standorten von Opel in Deutschland, Belgien und Spanien gefährdet, war an diesem Feiertag kein Thema. Und auch nicht, dass schon in diesem Jahr knapp 3.000 Beschäftigte bei Opel ihren Job verlieren werden. Das Unternehmen schreibt schließlich seit Jahren rote Zahlen. Für 2001 musste Forster erst vor Monatsfrist einen Milliardenverlust einräumen. In Rüsselsheim wissen alle: „Leanfield“ ist die letzte Chance für Opel und für die Stadt. Deshalb muss der neue Vectra ein Verkaufsschlager werden. „Wird er“, sagt Schröder gelassen. Er muss es wissen. Er ist schließlich Autokanzler.