Flunkernde Vermittler

Skandal um Schlamperei beim Arbeitsamt: Die Erfolgsstatistiken der Bundesanstalt sind offenbar dramatisch verfälscht

von HEIDE OESTREICH
und ANDREAS WYPUTTA

Nach knapp einjähriger Arbeitslosigkeit ist Martin B. mehr als frustriert: „Einfach nur katastrophal“ sei die Zusammenarbeit mit seinem zuständigen Arbeitsamt im Ruhrgebiet gelaufen, klagt der Wissenschaftsjournalist, der sich nach dem Konkurs seines Arbeitgebers zum Onlineredakteur umschulen lassen wollte.

Mehr als sechs Monate musste der 33-Jährige, der seinen Namen aus Angst vor Gängeleien nicht in der Zeitung sehen will, auf einen Termin für eine erste Beratung warten – obwohl er die Umschulung selbst vorgeschlagen hatte und die im Arbeitsamtjargon „Maßnahme“ genannte Fortbildung selbst nie umstritten war. Die Genehmigung dauerte dann noch einmal über fünf Monate. „Fast ein ganzes Jahr habe ich vertrödelt“, seufzt B. – und macht sich Sorgen über die Wirkung seines Lebenslaufs.

Die Erfahrungen des Arbeitswilligen dürften keine Ausnahme sein: Der Bundesrechnungshof wirft der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit vor, ihre Vermittlungsstatistiken seien zu rund 70 Prozent fehlerhaft. Überprüfungen in den Arbeitsämtern Dortmund, Bremerhaven, Halle, Frankfurt (Oder) und Neuwied hätten ergeben, dass von 5.127 angeblichen Jobs 3.008 falsch erfasst gewesen seien. 640 Vorgänge seien überhaupt nicht mehr überprüfbar gewesen: „Tatsächlich konnten die Arbeitsämter weit weniger Stellenangebote besetzen, als die Vermittlungen ausweisen. Auch suchten sich erheblich mehr abgehende Bewerber ihre Beschäftigungsverhältnisse selbst“, bemängeln die Rechnungsprüfer.

Sollten die Zahlen zutreffen, hätten die Beamten der Bundesanstalt die Statistik massiv gefälscht: Weniger als ein Drittel der in neue Jobs vermittelten Arbeitslosen gingen dann auf ihr Konto – den Rest hätten die Arbeitssuchenden selbst erledigt. Wirtschaftsforscher sind entsetzt: „Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, hieße das ja, dass die Arbeitsverwaltung die Zahlen systematisch nach oben getrieben hätte, um sich selbst gut darzustellen. Das wäre ungeheuerlich“, sagt Holger Schäfer, Referent für Arbeitsökonomie beim Institut der deutschen Wirtschaft, zur taz. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt fordert jetzt eine grundlegende Reform der Bundesanstalt.

Die Nürnberger Beamten dagegen mauerten gestern: Zu den konkreten Vorwürfen wolle man erst heute Stellung nehmen, so ein Sprecher – der Vorstand berate heute über den Bericht. Dabei hatte Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) den Präsidenten der Bundesanstalt, Bernhard Jagoda, bereits Mittwoch vergangener Woche über Vorwürfe informiert.

Der Minister sei „überrascht und verärgert“, so sein Sprecher Klaus Vater gestern in Berlin. „Die Vorgänge müssen rückhaltlos aufgedeckt, beseitigt und gegebenenfalls auch geahndet werden.“ Einen Rücktritt Jagodas schloss das Arbeitsministeriums gestern aber noch aus. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Dreßen fordert dagegen personelle Konsequenzen, sollten sich die Vorwürfe bestätigen – Jagoda und seine Kollegen auf Landesebene stünden dann zur Disposition.

Entsprechend vernichtend auch die Kritik der Opposition: Eine Reform der Bundesanstalt sei überfällig, meint der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl-Josef Laumann. Riester wolle offensichtlich keine Verantwortung für die Pannen übernehmen – der Arbeitsminister hatte zuvor erklären lassen, die Statistik werde in eigener Verantwortung der Bundesanstalt für Arbeit erstellt: „Vergisst der Minister, das sein Ministerium die Aufsicht über die Bundesanstalt führt?“ Und der Arbeitsmarktexperte der FDP, Dirk Niebel, erklärt, die Bundesanstalt sei offensichtlich mehr damit beschäftigt, „die Arbeitslosigkeit zu verwalten, als sie zu bekämpfen“.

Niebel könnte Recht behalten: Zwar sind von den 93.000 Mitarbeiter der Anstalt nach eigenen Angaben mehr als 27.000 mit „Vermittlungstätigkeiten“ beschäftigt. Als ansprechbare Arbeitsvermittler, die den Arbeitssuchenden tatsächlich weiterhelfen könnten, arbeiten aber nur 8.000 oder weniger als zehn Prozent. Der Rest ist „Assistent oder mit der Dateneingabe“ beschäftigt. „Ein Skandal“, findet Arbeitgeberpräsident Hundt. Dabei wird sich ihre Zahl selbst durch das von der Koalition als Durchbruch gefeierte „Job-Aqtiv“-Gesetz nur unwesentlich erhöhen: Zukünftig sollen sich 11.000 Arbeitsvermittler um die Arbeitswilligen kümmern.

Von diesen 3.000 neuen Vermittlern stellen die Nürnberger aber nur 1.000 selbst: Der Rest wird befristet eingestellt oder gleich von Privatfirmen gestellt, wie die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Thea Dückert, einräumt.

Eine Reform der schwerfälligen Behörde stehe spätestens nach den Wahlen an, so eine Sprecherin des Arbeitsministeriums auf Nachfrage der taz – zumal die Kritik des Bundesrechnungshofs generelle Zweifel an den Zahlen der Nürnberger weckt: „Selbst der Minister hat vor kurzem kritisiert, dass die Arbeitslosenstatistik nicht der Realität entspricht.“ Auch die Grüne Dückert schimpft: „Da muss umorganisiert werden.“ Hoffentlich.