„Mich interessieren zerstörte Menschen“

■ Das Theater untersucht die geistige Gefangenschaft der „Lady Macbeth von Mzensk“

Am Freitag hat am Bremer Theater Dimitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ Premiere. Traurig berühmt geworden ist das geniale Werk des 26-jährigen Komponisten durch das Urteil Stalins nach der Uraufführung 1934 in Moskau: Die Oper sei keine Musik, sondern Chaos – der Diktator ließ weitere Aufführungen verbieten. Dies war der Anfang einer Reihe von Maßregelungen und Kompositions-Verboten.

Schostakowitsch erzählt ein russisches Pendant zur Gesche-Gottfried-Geschichte und macht die Zustände der Gesellschaft verantwortlich für die Giftmorde derjungen Katarina Ismailowa: Zuerst tötet sie den ihr nachstellende Schwiegervater, dann den ungeliebte Mann, dann die neue Geliebte ihres Liebhabers und zuletzt sich selbst. Schostakowitschs Frühwerk zählt sicher zu den großen Opern des 20. Jahrhunderts, die man an fünf Fingern aufzählen kann. Am Bremer Theater inszeniert Konstanze Lauterbach „ihr Thema“, wie sie im taz-Interview sagt.

taz: Frau Lauterbach, es geht in Schostakowitschs Oper ja um die Frage der Schuld in einer Gesellschaft, eben auch darum, dass „Schuld“ ein relativer Begriff ist. Von Katarinas Verhalten sagte der Komponist: „Ihre Morde sind ein Protest gegen das Leben, das sie führen muss.“ Er spricht sie im Unterschied zur Vorlage, der Novelle von Nikolaj Leskov, von jeder Schuld frei. Wo und wie setzen Sie den Akzent für Katarina?

Konstanze Lauterbach: Katerina wird unterdrückt. Sie entwickelt die Courage, ,ich' zu sagen. Ihr Befreiungskampf ist Gewalt, ja. Es ist Gewalt aus Notwehr – und es ist Selbstmord.

„Lady Macbeth von Mzensk“ – wo kommt so ein Titel her, denn Shakespeares Lady mordet ja aus Machthunger.

Es gab in Russland so eine literarische Tradition, mit den Titeln Shakespeares zu spielen, das bedeutet weiter nichts.

Wie gehen Sie mit dem krassen Realismus um? Vergewaltigung, Auspeitschung und Mord kommen vor?

Möchte ich vor der Premiere nicht beantworten.

Sehe Sie etwas spezifisch Russisches in der Geschichte? Mir fällt der Schluss von Modest Mussorgskis „Boris Godunow“ ein: „Weine, armes Russland, weine“. In der ,Lady' heißt es: „Wann werden die Leiden ein Ende haben?“

Es endet ja mit dem Zug in die Arbeitslager von Sibirien, und da gibt es schon eine russische Tradition der Unterdrückung dieses Volkes und der Sehnsucht nach Erlösung. Ich verfolge allerdings eine etwas andere Spur: Mich interessieren zerstörte Menschen, nicht leidende. Ich möchte versuchen, geistige Gefangenschaft und seelische Verkrüppelung zu zeigen. Katarina ist zutiefst fremd in ihrem Umfeld.

Spielt es für Ihre Interpretation eine Rolle, dass Schostakowitsch eine Trilogie mit Frauenfiguren plante?

Nein. Wir haben den satirischen Polizeiakt gestrichen, der hat mit dem Stück nichts zu tun, und das wirkt heute nur noch lapidar.

Wie haben Sie sich als Schauspielregisseurin dem Werk angenähert? Über den Text? Die Musik?

Über beides. In mir entstehen schnell Räume, mit denen ich dann arbeite.

Wie empfinden Sie den Unterschied zwischen einer Operninszenierung – es ist ja Ihre dritte Oper – und einem Schauspiel?

Man muss schon mit einer doppelten Konzentration arbeiten – es gibt die Musik und es gibt das Drama. Die Musik gibt ein Tempo vor, an das ich mich halten muss. Im Falle Lady Macbeth ist es rasant, schnell, es gibt eine gnadenlose Beschleunigung, so würde ich das nennen. Oder aber es gibt eine absolute Langsamkeit.

Die Frage stellte Ute Schalz-Laurenze

Die Premiere von „Lady Mcbeth von Mzensk“ ist am Freitag, den 8. Februar. Regie: Konstanze Lauterbach, musikalische Leitung: Graham Jackson