Islamische Schnitzeljagd

Der Museumspädagogische Dienst kämpft mit Vorträgen gegen Vorurteile: Der Islam sei mehr als eine Religion – und Berlins Muslime nicht nur die Türken in Kreuzberg

Qualifikation: Sohn. So wurde Edzard Reuter, der Ex-Daimler-Chef, wohl schon lange nicht mehr vorgestellt. Er nahm’s gelassen und bedankte sich bei Moderator Michael Drechsler vom Museumspädagogischen Dienst (MD) für die Einladung zur Auftaktveranstaltung „Islam in Berlin“ im Kreuzberg Museum. Später erzählte der 73-Jährige dann von seinen zwölf Jugendjahren im türkischen Exil. Sein Vater Ernst Reuter, ehemaliger Regierender Bürgermeister von West-Berlin, musste 1936 vor den Nazis nach Ankara fliehen. Der achtjährige Edzard landete unvorbereitet in einer ihm fremden Welt.

Drechslers unglückliche Begrüßung war also keine Tragödie – Reuter plauderte gutgelaunt – aber symbolisch für die Schwächen der Veranstaltung: Guter Wille, aber wenig Konzept. Waren der MD und das Kreuzberg Museum – die Folgen des 11. September im Hinterkopf – doch mit der Vorgabe gestartet, die Berliner mit einer Vortragsreihe über die islamische Kultur und die muslimische Bevölkerung ihrer Stadt aufzuklären. Ein 30-köpfiger Arbeitskreis sollte sich in der Stadt auf kulturelle Spurensuche machen. Fotos und Dokumente werde man auf einer Abschlussveranstaltung Ende März präsentieren. Zum Auftakt aber war von kultureller Vielfalt wenig zu sehen. Man landete beim üblichen Thema, den speziellen Problemen deutscher Türken.

Der Journalist und Schriftsteller Zafer Senocak las kluge Passagen aus seinen Büchern. Als türkischstämmiger Deutscher beschreibt er darin die Probleme seiner Kindheit und sein Verhältnis zu Deutschland. „Seit ich ein Fremder bin, glaube ich wieder.“ Alles aber geschrieben aus der Sicht eines Menschen, der aus beiden Kulturen schöpft und den Islam nicht als bindendes Dogma, sondern als Inspirationsquelle versteht. Repräsentativ für Berlins Muslime ist das nicht.

Und Edzard Reuter, der Exil-Berliner, erzählte fesselnd und mit der Subjektivität eines jugendlichen Zeitzeugen von der Revolution Kemal Atatürks in den 30er-Jahren. „Die größte säkuläre Tat des 20. Jahrhunderts“, nennt es Reuter. Eine neue Verfassung, der Wechsel von arabischer zu lateinischer Schrift, die Trennung von Staat und Religion, die Neuorganisation der Verwaltung – diese Reformen hätten die Türkei der Moderne und dem Westen näher gebracht, sie aber innerlich zerissen. Niemand mag ihm da widersprechen. Was aber sagt das über den Islam in Berlin?

184.000 Muslime leben in der Stadt, zwei Drittel davon, schätzt Sevim Türkoglu vom MD, seien sunnitische Türken. Schiitische Muslime aus dem Iran oder Nordafrika kämen bei den geplanten Veranstaltungen aber zu kurz, sagt sie selbstkritisch. Um mehr über den Islam in Berlin zu erfahren sei das Programm aber gut geeignet. So werde der Arbeitskreis die Merkes-Moschee besuchen und an einem Gebet teilnehmen. Recherchen und Führungen im Museum für Islamische Kunst und dem Kulturzentrum Anatolischer Aleviten – einer in der Türkei weit verbreiteten Konfessionsgruppe – sollten den Teilnehmern Hintergrundinfomationen vermitteln.

Die Arbeitsgruppe war jedoch bereits vor Beginn der Auftaktveranstaltung ausgebucht. „Zum größten Teil Deutsche“, sagt Türkoglu. Interessenten bleiben nur vier öffentliche Veranstaltungen. In zwei Wochen (19. 2.) wird Professor Gerhard Höpp vom Zentrum Moderner Orient in Berlin über „Muslime in Berlin und Brandenburg von 1763 bis 1945“ referieren. Am selben Abend will der Arbeitskreis Fundstücke seiner Spurensuche präsentieren. Einen Monat später (16. 3.) führt Amir Mohammed Herzog von der Islamischen Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime Neugierige über den islamischen Friedhof in Neukölln und durch die Sehitlik-Moschee. Wer sich nicht vom lauen Auftakt entmutigen lässt, könnte hier noch viel entdecken. Die islamische Kultur in Berlin hätte es verdient.

THILO KUNZEMANN