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: Sodexho, Golzow und BAP? Berlinale, du kannst kommen!

Ein schmutziges Geschäft

Es mag einen neuen Festspieldirektor geben (Dieter Kosslick) und auch einen veränderten Wettbewerbsschwerpunkt (mehr Deutschland, weniger Hollywood im Verhältnis 4: 3) –doch die meisten, jedenfalls die Heerscharen akkreditierter Journalisten bewegt eine ganz andere Frage. Eine Frage, die viel weiter geht, und deren Beantwortung letztgültig klären könnte, wie die Dinge eigentlich zusammenhängen, kurzum eine Frage von gewissermaßen philosophischer Qualität: Wie kriegt man eigentlich die Akkreditierungskarte an dem dafür vorgesehenen Akkreditierungskartenbändchen befestigt?

Doch keine Antwort ist in Sicht. Das fängt ja gut an. Doch es kommt noch besser. Schon am Dienstagmorgen, als ausgewählte Filmjournalisten bei Staatsminister Julian Nida-Rümelin zum Pressefrühstück geladen waren, drohte sich ein erster Skandal anzubahnen, als die schlaffen Brötchen des Cateringunternehmens Sodexho gereicht wurden, das stadtweit als Betreiber der Kantine des Berliner Verlages bekannt und gefürchtet ist.

Doch hungrige Meinungsmacher schlucken, wenn es der Wahrheitsfindung dient, so einiges und lassen sich auch von schwitziger Wurst und luftgetrocknetem Käse, der an den Ecken munter Ohren schlägt, nicht aus der Ruhe bringen. Berlinale, Du kannst kommen!

Aber was kommt? Zumindest wird es so kommen, dass die Berliner sich wie üblich für etwa zehn Tage spontan zu den härtesten Cineasten entwickeln werden, um sich einer Art von Filmemacherei auszusetzen, die sie sich im Rest des Jahres selbst unter Androhung körperlicher Strafen niemals antun würden. Sie werden sich, damit der Ruf von der Berlinale als „Publikumsfestival“ gewahrt bleibt, oft mehrere Stunden lang gut sichtbar an den zentralen Vorverkaufskassen anstellen, obwohl die Karten an herkömmlichen Theaterkassen eigentlich viel bequemer zu haben wären. Würde man sie fragen warum, würden sie vielleicht sagen: Das gehört dazu. Irgendwie dazu gehört auch die Endlosdokumentation über die Ortschaft Golzow, die dieses Mal einen gewissen Jochen zum Thema hat.

Doch wie hat man sich dieses Golzow eigentlich vorzustellen? Wie eine Real-Life-Truman-Show möglicherweise, in der alle Bewohner über Jahre hinweg totalüberwacht werden, weil die ganze Dokumentarfilmerei ansonsten schon aus logistischen Gründen gar nicht zu bewältigen wäre? Vielleicht sollte man mal einen Film über die Golzower Dokumentarfilm-Filmer anregen? Vielleicht gibt es dieses Golzow ja gar nicht? Hat schon mal jemand nachgeschaut? Das müsste man mal tun, jedenfalls wenn das Problem mit Karte und Band zufriedenstellend gelöst ist.

Andererseits käme man sich, wenn das Problem gelöst wäre, und man die Karte, die man nun aus praktischen Erwägungen in Brief-, Hosentaschen oder sonstwo trägt, ganz öffentlich und für jeden sichtbar am Band spazieren tragen würde, schon etwas unanständig vor. Dann wüsste ja gleich jeder, dass man dazu gehört, dass man auch ein so genannter Cineast ist, der nach dem Filmgenuss stets nachdenklich den Kopf wiegt, um Zeit zu gewinnen, bis ihm etwas einfällt, dass er beizeiten schlau in die Runde werfen kann; dass man zu denen gehört, die rund um die Uhr im Kino sitzen, auf dass sich ihr Horizont spektakulär verengt; dass man deshalb jeden Tag aufs Neue, nahezu gebetsmühlenartig, das schwache Programm bedauern und das offenbar schmerzliche Fernbleiben eines Wettbewerbsfavoriten beklagen würde, gerade so, als gäbe es nichts Wichtigeres. Denn so wird es auch dieses Jahr wieder sein, denn so ist es in jedem Jahr.

Dabei gibt die 52. Berlinale schon jetzt einen Anlass zu purer Freude. Immerhin wird der neue Wenders-Film „Viel passiert“ gezeigt, ein heiß erwarteter Film über Deutschlands Über-Rockband BAP, verfeinert durch erlesene Gastauftritte von Superpromis wie Wolf Biermann. Das ist Deutschland 2002, schon jetzt danken wir Wenders auf Knien. Dabei sei noch darauf hingewiesen, dass im Pressezentrum im Hyatt-Hotel die Seife auf den Toiletten fehlt. Denn wie die Berlinale auch wird, eines ist sicher: Es ist ein schmutziges Geschäft.

HARALD PETERS