in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN war beim Afrika-Cup

Irresponsibles Fußballgucken

Im Restaurant des Hotels L’Auberge in Ségou, nur wenige Schritte vom Anleger der Fähre entfernt, die den Niger entlang schippert, sitzt um den größten Tisch eine Gruppe junger Französinnen, die wahrscheinlich keine Ahnung haben, dass in zwei Stunden die Partie zwischen Südafrika und Marokko angepfiffen wird, weil sie nicht solch schnöder Dinge wie des Fußballs wegen ins Land gekommen sind. Das erkennt man schon daran, dass sie zu den Trekking-Sandalen einheimische Gewänder tragen, ihre Haare zu kleinen Zöpfen geflochten und darüber bunte Perlen gezogen haben. Untrügliche Erkennungszeichen jenes „Responsible Tourism“ sind das, für den auch unser Mali-Reiseführer geworben hat.

Diese einigermaßen deprimierende Szenerie würde man gerne um Frank bereichern, den Scout von Manchester United. Der sechzigjährige Klotzkopf stammt aus Blackburn, wo er für die Rovers angeblich 600 Spiele und über 200 Tore gemacht hat. Dann wurde er Coach, zuletzt noch im Südafrika der Apartheid und trainierte dort auch die flüchtigen deutschen Profis des Bundesligabestechungsskandals, an Volkmar Groß und Arno Steffenhagen kann er sich noch gut erinnern. Frank ist ein Arschloch in bester Tradition des Kolonialismus, der ohne mit der Wimper zu zucken rausposaunt: „Ich sag euch Jungs, diese Afrikaner brauchen einfach Anleitung, sonst wird das mit denen nie was.“

Wie Frank und den Französinnen schwinden vielen Europäern auf dem schwarzen Kontinent die Sinne. Vielleicht liegt es an der Hitze, wenn sie sich entweder vor lauter kultureller Sensibilität in Pseudoafrikaner verwandeln oder die mentalen Tropenhüte der Herrenrasse aufsetzen. Am Ende weiß man schon nicht mehr genau, was mehr nervt, auch bei der afrikanischen Fußballbetrachtung.

Allerdings schwinden in der ersten Halbzeit des Spiel zwischen Südafrika und Marokko fast alle Kräfte, um das noch zu entscheiden. So bodenlos schlecht und fast schmerzhaft langweilig ist der Kick, dass die Rede vom Ringen mit dem Schlaf schon nicht mehr metaphorisch gemeint ist. Besonders ermüdend ist Südafrikas Thabo Mngomeni mit der albernen Ananasfrisur und seinen Dribblings, die genauso so sinnlos sind, wie die aufgeregten Taxifahrten in Bamako, wo die Fahrer meistens den Weg nicht kennen, aber entschlossen erst mal zehn Minuten in die falsche Richtung fahren, bevor sie sich nach dem Weg erkundigen.

Auch in Ségou ist der Platz so holprig, als würde bei der Afrikameisterschaft ein Experiment durchgeführt, bei dem Fußballspielen unter Unmöglichmachen von Flachpässen ausprobiert werden soll. Dabei braucht man zur Herstellung einer weitgehend planen Spielfläche nur die technisch unaufwändige Gerätschaft einer Walze. Dunkel bleibt auch der Sinn, warum das Spiel nachmittags um vier angepfiffen wird, wenn es so heiß ist, dass selbst das Niedersinkenlassen des Kopfes auf das Schreibpult eine zu große Anstrengung ist. Das ist blöde und so undurchdacht, wie das wüste Gekicke auf dem Platz, wo die Referees Fouls durchgehen lassen, die Eugen Striegel erblassen ließen. Solch afrikanische Härte steht derzeit im Dienste eines weitgehend einfallslosen Defensivfußballs, der die Franks dieser Welt darin bestätigen dürfte, dass die Schwatten wohl noch etwas Anleitung brauchen, um wirklich mal an die Spitze zu kommen.

Trotzdem trommeln und singen einer ganz und gar zauberhafte Idee folgend, nach der in jedem Spielort den Gastmannschaften Anhänger zugeteilt werden, die Wahlsüdafrikaner und Jubelmarokkaner mit großer Begeisterung weiter und unterstützen ihre Teams teilweise gar mit einstudierten Choreografien. Das wäre in Japan und Korea bestimmt auch eine gute Idee, wohin doch aus Belgien, Ecuador oder Tunesien niemand anreisen wird.

Kaum daheim, wird man auch daran erinnert, dass Thabo Mngomeni zwar eine Dribbel-Nervensäge sein mag, aber er und viele Kicker bei der Afrikameisterschaft mit dem Ball eben doch viel geschickter umgehen als die Mehrheit ihrer Kollegen in der Bundesliga, und will gar nicht mehr wissen, ob man nun mit der Perle im Haar oder eher irresponsible zugeguckt hat.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber