Hoffen auf den großen Fang

Der Kanzler wartet, bis ihm der Strom des Aufschwungs neue Arbeitsplätze an die Angel treibt. Über das trübe Gewässer der Jobvermittlung schweigt er

Die Einflüsterer im Kanzleramt sind überzeugt: Auf die politische Baisse folgt eine Hausse.

von CHRISTIAN FÜLLER

Bernhard Jagoda machte gestern gar keinen guten Eindruck. Grippegeschwächt musste der Präsident die jüngsten Schreckensnachrichten seiner Bundesanstalt für Arbeit verkünden: Jetzt sind knapp 4,3 Millionen Menschen in Deutschland ohne Beschäftigung. Obendrein musste der Chef komplizierte Erklärungen abgeben, warum seine Behörde die Arbeitslosen nicht korrekt zählt.

Tapfer erklärte Bernhard Jagoda: „Der Kapitän geht nicht von Bord, wenn Sturm ist.“ Dennoch ist der Makel des bislang so untadeligen Arbeitslosenzählers vor allem für eine Person ein Problem: für den Kanzler. Auf Jagoda konnte Gerhard Schröder stets zählen. In der aktuellen Situation kommt die schwere Kritik an ihm dem Verlust eines letzten zuverlässigen Kämpen gleich.

Das Bild von Schröders Rot-Grün war nur 1999 schlimmer – im Jahr des Dilettantismus. Zuletzt patzten die wichtigsten sozialdemokratischen Minister. In den Ressorts für äußere und innere Sicherheit stolperten Rudolf Scharping und Otto Schily über brandgefährliche politische Fehler. Auch Hans Eichel, bis vor kurzem noch lebender Beweis, dass Sozialdemokraten mit Geld umgehen können, muss nun ein blauen Brief aus Brüssel fürchten.

Der Kanzler reagiert zwar nicht mit Taten, aber immerhin mit Worten. Vor Industriellen deutete er an, er wolle Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen. Er meinte damit, dass er zur Reform des Arbeitsmarkts bereit sei. Das Manöver verfehlte seine Wirkung nicht. Schröder signalsierte selbst in höchster Not, dass der Bundeskanzler nach wie vor in Berlin sitzt, nicht in München; dass Gerhard Schröder es ist, der Politikfelder besetzt. Auch seine Rempeleien gegen die Brüsseler Kommission haben ihren Zweck: Indem sich Schröder gegen die drohende Rüge wegen einer Defizitüberschreitung durch Deutschland wehrt, präsentiert er sich als Staatsmann – als Beschützer seiner im Grunde sparsamen Nation.

Selbst die neuen Arbeitslosenzahlen lassen sich auf diese Weise staatsmännisch verkleiden: Für seine falschen Versprechungen hat er sich längst entschuldigt. Gestern schwieg der Kanzler. Und sagte pietätvoll die Teilnahme an einem Karnevalsumzug ab – offiziell wegen Arbeitsüberlastung, versteht sich. Das Bundeskabinett nämlich beschloss das Mainzer Kombilohnmodell. Es kann die Arbeitslosigkeit zwar nur ein bisschen lindern – aber Schröder suggeriert damit, dass im Kanzleramt Entschlossenheit herrsche, während Union und FDP draußen nur Panik machten. „In dieser bedrückenden Lage brauchen wir eine bessere Stimmung“, kommentierte sein Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) die Arbeitslosigkeit.

In dieser Situation erscheint allerdings selbst die Zählakrobatik der Bundesanstalt für Arbeit eher als kleines Malheur. Es lenkt sogar ein wenig von der Arbeitslosigkeit ab. Das Kalkül des Kanzlers: Wenn das Publikum erst einmal verstanden hat, wo das Problem beim Jobvermitteln liegt, werden es sein Arbeitsminister Walter Riester und Bernhard Jagoda sein, die gut dastehen. Wenig Vermittler, keine persönliche Betreuung, schlechte EDV – die Mängel in den Arbeitsämtern werden auf wundersame Weise behoben. Nämlich durch ein Job-Aqtiv-Gesetz, das niemand anderes als die Bundesregierung beschlossen hat.

An einem Karnevalsumzug nahm der Kanzler lieber nicht teil – wegen Arbeitsüberlastung

Schröder präsentiert sich als der Steuermann und er macht seinen Job mit einer ungeheuren Chuzpe. Seine Einflüsterer im Kanzleramt hängen der Zyklusthese an. Sie besagt, dass auf eine politisch-publizistische Baisse eine Hausse folgt. Die Frage ist nur, wann. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel ätzte über die ruhige Hand des Kanzlers: „Jetzt haben wir Stillstand.“

Tatsache ist indes, dass immer mehr Kunjunkturindikatoren nach oben zeigen. Der Geschäftserwartungsindex des renommierten Münchener Ifo-Instituts steigt nun im dritten Monat in Folge. Jetzt zeigt auch noch das Barometer des Handelsblatts nach oben. Der komplexe Seismograf verbucht Zuwächse sogar für die Katastrophenbranche Bau – und das schon seit November. Parallel stellen die Ökonomen fest, dass auch die US-Wirtschaft wieder anzieht. Der Zeuge dafür könnte glaubwürdiger kaum sein: Es ist Alan Greenspan.

Mit dem US-Notenbankchef als neuem Gewährsmann kann Schröder sogar die jüngste personelle Eintrübung in seinem Team verkraften. Wer ist schon Bernhard Jagoda, verglichen mit Alan Greenspan?