skandale im wahljahr
: Zwang zum Streit statt zum Konsens

In Wahlkampfzeiten werden Punkte verteilt. Selbst in einer Mediendemokratie sind Imagekampagnen und Sympathiewerte nicht alles – über den Erfolg einer Partei befindet das Stimmvolk auch anhand einfachster politischer Fragen: Wer hat Recht? Wer hat Schuld? Wer weiß es besser? Wer darf das Verdienst, ein Problem gelöst zu haben, für sich beanspruchen?

Kommentarvon DIETMAR BARTZ

Obwohl die Wahlberechtigten also versuchen, politische Verantwortlichkeiten zu lokalisieren, enden ihre Anläufe seltsam im Leeren. Viele der Skandale und Affären, die uns seit der Stoiber-Kandidatur und damit seit dem Beginn des Wahlkampfs beschäftigen, lassen sich nicht nur einer Partei zuschreiben. Die V-Leute im NPD-Verbotsantrag? Blieben wegen geteilter Kompetenzen zwischen Bund und Ländern unentdeckt. Die Zunahme der Staatsverschuldung? Geht CDU- und SPD-regierte Länder gleichermaßen an. Die Pleite der Bankgesellschaft Berlin? Trifft beide Teile der alten großen Koalition. Die Statistikmogelei der Bundesanstalt für Arbeit? Lag in der sachlichen Verantwortung einer drittelparitätischen Aufsicht durch Arbeitgeber, Arbeitnehmer und öffentliche Hände. Selbst die lächerliche, durch Gremien blockierte Suche nach einem neuen ZDF-Intendanten ist hier unterzubringen: in der Verbändedemokratie, im rheinischen Kapitalismus, in der deutschen Konsensgesellschaft.

Die korporatistische Gemütlichkeit, die verteilte Schuld – sie erklären, warum das politische Personal trotz einer erregten Öffentlichkeit so ungerührt bleiben kann. Dagegen hilft nur, Konfliktlösungen streitig statt konsensuell zu organisieren. Dazu brauchen nicht einmal die Strukturen der Institutionen verändert zu werden – der wichtigste erste Schritt ist eine neue Inszenierung politischer Konflikte. Eine Partei, die zuvor Teil des Problems war und nun Teil der Lösung werden will, muss ihre Konkurrenten zur Verteidigung des Status quo drängen, also in die Defensive. Dann kann sie umso glaubwürdiger für Aufklärung und Reformen streiten.

Eine solche Fähigkeit zur Illoyalität gegenüber der Vergangenheit lässt sich lernen. Dann bedürften wir nicht erst eines Gutachtens aus dem Bundesrechnungshof, bis groteske Ungenauigkeiten der Arbeitsamtsstatistik auffliegen – stattdessen wäre schon längst ein Gremienvertreter den Gerüchten nachgegangen und hätte seiner Partei oder seinem Lager Punkte verschafft. Die Öffentlichkeit würde ein solches Verfahren honorieren. Besonders an den Urnen.