Wurzeln im Wald

Pinocchio goes SciFi: In dem Anime „A Tree Of Palme“ (Forum) mutiert ein Holzroboter zum Schizo-Cyborg

Man soll das Kleinholz achten wie alle anderen Lebewesen auch. Denn wenn der Baum ein beseeltes Stück Natur ist, dann leben deren Geister ebenso in seinen Teilen, von den Wurzeln bis in die Äste.

Das ist pantheistisch, das passt in die Romantik, das gibt in Japan auch gut Stoff für einen Zeichentrickfilm her, zumal das ganze Genre dort folgerichtig „Anime“ genannt wird. Trotzdem stammt die Vorlage für Nakamura Takashis „A Tree Of Palme“ von Walt Disney. Nur ist aus Pinocchio, der so gerne ein Mensch wäre, jetzt ein hölzerner Ökoroboter geworden. Er hat den Auftrag, eine besondere lebensspendende Flüssigkeit vor feindlichen Kriegern zu schützen und an eine Art Überwesen auszuliefern, das mit der Kraft des Saftes die Menschheit retten soll.

Ansonsten steht die Apokalypse bevor und das wäre schlecht für die pokémon-bunte Zukunftswelt, in der die Wiesen, Äcker und Himmelsfarben leuchten, als hätte Vincent van Gogh das Paint-Programm geschrieben. Dabei sind die Fantasien, die der frühere „Akira“-Animationsdirektor Takashi in seiner Erzählung eines Übergangsritus entwickelt, zum großen Teil dunkel und psychedelisch. Überdimensionale Ornamentfische fliegen durch eine von litfasssäulenhohen Maden bevölkerte Wüste, Tau tropft schläfrig an Gräsern herab wie die Uhren auf Salvador Dalis Drogenpostern.

Natürlich verzichtet auch „A Tree Of Palme“ nicht auf murmeläugige Kinderhorden und grinsende Pferdchen – soviel Spielzeugästhetik made in Japan muss sein. Doch mit der Zeit mutiert der handgeschnitzte Held immer mehr zu einem Schizo-Cyborg, der kurz vor dem Ziel Wurzeln schlägt, wie es eben zu einem echten Baum gehört. Zum Glück hilft ihm die – irgendwie vertraut buddhistisch klingende – Erkenntnis aus der Existenzkrise: „Warum habe ich das nicht früher gemerkt? Ich brauche ja gar keinen Körper“. Dann verwandelt sich Takashis Science-Fiction-Pinocchio in ein Gestrüpp aus Schlingpflanzen und Blattlaub – der Rest ist Gameboy-Action und Nukleargewitter.

Erst zum Schluss ist die Ordnung wieder hergestellt, in der es sich selbst als Vollprothese aus Holz recht angenehm mit einer kleinen Freundin leben lässt. Für Takashi ist der Trip durch das elektronisch glitzernde Wunderland „eine Reise in die gequälten Seelen und Gedanken der Menschen“. Wer nicht über die Sorgen des Seins philosophieren will, sondern lieber kifft und ätherisch orgelnde Synthesizer mag, wird aber auch gut bedient.

HARALD FRICKE

„A Tree Of Palme“. Regie: Nakamura Takashi. Japan 2001, 130 Min.