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: IOC-Präsident Jacques Rogge verliert an Autorität

Olympia hisst mit

Ein Problem konnte IOC-Präsident Jacques Rogge in Salt Lake City nicht auf den November verschieben: die Sache mit der Fahne. Jener Stofffetzen, der aus den Trümmern des World Trade Centers geklaubt wurde und seither als oberste Reliquie des heiligen Krieges der USA gilt. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) war zuletzt emsig bemüht klarzustellen, dass die Olympischen Spiele nicht den USA gehören, auch wenn sie dort stattfinden, und dass sie nicht zu kitschigen Kundgebungen des Patriotismus herabgewürdigt werden dürften, wie die meisten Großveranstaltungen der letzten Monate, vom peinlichen Benefizkonzert der Rockmusiker bis zur Super Bowl. Das IOC wollte das gebenedeite Tuch nicht als Bestandteil der Eröffnungsfeier haben, doch der Sturm der Entrüstung, der darob durchs Land brauste, ließ ihm keine Chance. Die Kommentatoren der US-Medien zauderten nicht, jeden Fahnengegner quasi zum Gefolgsmann Bin Ladens zu ernennen, und machten mehr als deutlich, was der Welt bevor steht: amerikanische Spiele, deren nationalistische Überflutung lediglich dadurch gebremst werden dürfte, dass die US-Athleten in den meisten Wintersportarten keine Siegchance haben. Die Fahne aber wird wehen, wenn heute die 19. Winterspiele eröffnet werden.

Zurückstecken mussten Jacques Rogge und sein wieder erstarkter Gegenkandidat Richard Pound aber auch in einem anderen Konflikt mit den Funktionären der USA. Vor einigen Tagen hatte Pound den Leichtathletik-Weltverband aufgefordert, den US-Verband USATF auszuschließen, wenn dieser nicht endlich die Namen der vor Sydney erwischten Dopingsünder, darunter ein Medaillengewinner der Spiele 2000, nennen würde. Der NOK-Vorsitzenden Sandy Baldwin drohte der Kanadier damit, dass sie nicht wie geplant ins IOC gewählt würde, wenn ihr Komitee tatenlos bliebe. Der USATF blieb stur, und Baldwin wurde, nachdem ihr NOK den Leichtathleten ein bisschen gedroht hatte, trotzdem mit großer Mehrheit im IOC installiert. Da der kalifornische Geschäftsmann James Easton auch noch zum Vizepräsidenten gewählt wurde, verfügen die USA im IOC nun trotz aller Skandale über eine Machtbasis wie nie zuvor.

Die Zeiten, als ein Präsident das IOC fest im Griff hatte, sind definitiv vorbei. Das musste Rogge auch in anderen Angelegenheiten erfahren. Demokratisierung und Reform lautet sein Programm, das Problem ist jedoch, dass er es weitgehend mit den alten Mitgliedern zu tun hat. Und die nutzen die Demokratisierung zu Ränkespielen, um Reformen zu verhindern, die ihre gewohnten Privilegien gefährden. Vor allem zwei Missstände hatten den Ruf des IOC gründlich lädiert: die korruptionsträchtigen Besuche der Kandidatenstädte und die Ausnutzung der IOC-Mitgliedschaft für private Nebengeschäfte. Der Beschluss über einen Verhaltenskodex samt der geforderten Offenlegung von „Interessenskonflikten“ zwischen Amt und Beruf scheiterte vorerst am Widerstand der IOC-Mitglieder, was der deutsche NOK-Präsident Walther Tröger ziemlich unverschämt eine „gute parlamentarische Demokratie“ nannte. Über den Kodex wird jetzt ebenso wie über die von Rogge scharf abgelehnte Wiedereinführung der Besuche in Bewerberstädten im November in Mexiko entschieden. Will der freundliche Jacques Rogge nicht komplett seine Autorität einbüßen, kann er sich dort allzu viele Schlappen gegen die selbst ernannten Neodemokraten in seiner Organisation nicht mehr erlauben.

MATTI LIESKE