DUISENBERGS RÜCKTRITT BIETET CHANCEN FÜR GRUNDLEGENDE EZB-REFORM
: Europäisches Bewusstsein schaffen

Sicher ist: Den Wirtschaftskommentatoren ist gestern ein beliebtes Klatschthema abhanden gekommen. Denn die Frage, ob und wann Zentralbankchef Wim Duisenberg seinen vorzeitigen Rücktritt ankündigt, war in den vergangenen vier Jahren immer gut für journalistisches Kaffeesatzlesen. Sicher ist auch, dass das Rätselraten darüber, ob Frankreich seinen Favoriten Jean-Claude Trichet ins Rennen schickt, weitergehen wird – und dass der Euro auf die Tatsache, dass sein neuer Hüter bis auf Weiteres nicht feststeht, mit nervösen Zuckungen reagieren wird. Deshalb macht die Chronik dieses angekündigten Rücktritts vor allem eines deutlich: Eine Währung, die als verlässlich angesehen werden will, braucht verlässliche Strukturen.

Deshalb dürfen die Staatschefs die kommenden 17 Monate bis zum Wechsel an der EZB-Spitze nicht mit Postengeschacher vertun. Sie sollten sich lieber auf eine grundlegende Reform des Zentralbankrats verständigen, in dem sich noch immer jedes der derzeit 15 Mitglieder hauptsächlich als Interessenvertreter seiner nationalen Volkswirtschaft versteht. Das Gremium muss verkleinert werden, bevor neue Mitgliedsstaaten in die Währungsunion aufgenommen werden. Ähnlich wie bei der US-Zentralbank wäre ein Modell denkbar, nach dem die Mitgliedsstaaten im Rotationssystem Vertreter entsenden, die dann jeweils für mehrere Jahre eine Ländergruppe im Zentralbankrat vertreten. Dadurch würde das Bewusstsein wachsen, nicht länger für die Finanzpolitik des eigenen Landes, sondern für die Europas zuständig zu sein.

Auch das deutsche Dogma von der Unabhängigkeit der Frankfurter Währungshüter muss überprüft werden. Für den französischen Vorschlag, den Rat der zwölf Eurofinanzminister zu einer Wirtschaftsregierung auszubauen, stehen derzeit alle Türen weit offen. Bislang konnte Deutschland jeden Angriff auf die Unabhängigkeit der Zentralbank mit dem Hinweis auf die Erfolgsgeschichte der D-Mark abwehren. Seit dem angedrohten blauen Brief aus Brüssel aber ist in den Augen der anderen EU-Länder der Lack von der deutschen Stabilitätspolitik ab. DANIELA WEINGÄRTNER