Riester glaubt nicht an Jagoda

Affäre um gefälschte Vermittlungszahlen der Bundesanstalt für Arbeit gefährdet „Job-Aqtiv-Gesetz“. Arbeitsminister Riester setzt zur Aufklärung Ultimatum, lehnt einen Rücktritt aber kategorisch ab. Bundesanstalts-Präsident Jagoda dagegen wackelt

aus Berlin ANDREAS WYPUTTA

Von Journalisten umlagert versuchte ein sichtlich nervöser Arbeitsminister Walter Riester gestern in Berlin zu retten, was zu retten ist: Mit der Affäre um die geschönten Vermittlungszahlen der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA) steht das wichtigste Reformvorhaben des Sozialdemokraten, das so genannte „Job-Aqtiv-Gesetz“, auf dem Prüfstand.

Riester erklärte gestern eine Frage für „zentral“: „Kann die Bundesanstalt sicherstellen, dass der zentrale Anspruch des ‚Förderns und Forderns‘ eingelöst wird?“ Der Bundesrechnungshof hatte zuvor durch Stichproben bei fünf Arbeitsämtern ermittelt, dass über 70 Prozent der Vermittlungen fehlerhaft sind.

Sollte sich herausstellen, dass die BA insgesamt bei der Vermittlung und Beratung Arbeitssuchender unzureichend arbeitet, würde Riesters zentrales Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wegbrechen: Der Minister und mit ihm die rot-grüne Regierung hatten zur Einführung von „Job-Aqtiv“ argumentiert, man werde die Arbeitslosen noch stärker fördern, diese jetzt aber auch stärker in die Pflicht nehmen – die Assoziation des faulen Arbeitslosen lag nicht fern. Riester selbst hatte immer damit geworben, mit „Job Aqtiv“ stünden den Arbeitswilligen nun 3.000 weitere Arbeitsvermittler zur Verfügung.

Jetzt zeigt sich: Der Minister misstraut der Führung der Bundesanstalt. An deren Präsidenten Bernhard Jagoda vorbei informierte sich Riester am Montag direkt bei einem Mitarbeiter der Innenrevision der Nürnberger Anstalt. Der mit umfangreichem Datenmaterial ausgerüstete Mann, dessen Identität nicht gelüftet wurde, hatte bei der Spitze der BA kein Gehör gefunden.

Gestern ging Riester dann, wie von Kanzler Gerhard Schröder auf der Kabinettssitzung am Mittwoch geraten, in die Offensive: Der Vermittlungssektor brauche dringend mehr Wettbewerb, forderte er. „In den Köpfen der Mitarbeiter besteht das vor Jahren aufgehobene Vermittlungsmonopol der BA weiter.“

Bereits am Mittwochabend hatte der paritätisch mit Vertretern des Bundes, der Arbeitgeber und der Gewerkschaften besetzte Vorstand der BA nach einer Krisensitzung Behördenchef Jagoda Kompetenzen entzogen: Die Innenrevision der BA wird zukünftig nicht mehr allein Jagoda, sondern auch dem Vorstand, darunter der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands, Christoph Kannengießer, und die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, direkt berichten.

Eine neu zu schaffende Arbeitsgruppe, in der auch externe Berater arbeiten sollen, soll die Affäre „rückhaltlos“ aufklären und die „gesamte Aufbau- und Ablauforganisation der BA“ überprüfen, heißt es in dem Vorstandsbeschluss weiter. Eine „Stärkung der Vermittlungskompetenz“ habe dabei „oberste Priorität“.

Personelle Konsequenzen behielten sich Riester wie der BA-Vorstand ausdrücklich vor. Zu Rücktrittsforderungen gegenüber BA-Präsident Jagoda antwortete Riester jedoch ausweichend: „Entschieden wird, wenn man klar sieht.“ Laut eines Riester-Ultimatums soll das nächste Woche Freitag sein: Kannengießer und Engelen-Kefer wurden für den 15. Februar einbestellt.

Rücktrittsforderungen der Opposition im Zusammenhang mit einem Beitrag des ARD-Magazins „Panorama“, das bereits im September 1998 über Manipulationen der Arbeitsämter berichtete, wies Riester dagegen scharf zurück – der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich März, hatte zuvor wie die FDP-Politiker Otto Solms und Jürgen Koppelin Riesters Rücktritt gefordert. Verantwortung für die Manipulationen trage nach knapp vierjähriger Amtszeit nicht er, schimpfte Riester erregt, sondern die Konservativen: „Der Bericht erschien zehn Tage vor der Bundestagswahl. Hätte ich davon gewusst, hätte ich als Oppositionspolitiker da doch stärker reingewichst! Für wie bescheuert halten Sie mich?“