Eine neue Branche erobert den Markt

Prozessfinanzierer: Streiten, ohne einen Cent zu riskieren. Rechtlich betrachtet ist die Finanzierung ein Forderungskauf

Vor gerichtlichen Auseinandersetzungen mit hohen Streitwerten schreckt so mancher zurück. Die Durchsetzung des Rechts wird plötzlich zum Luxus, wenn keine Rechtsschutzversicherung einspringt, Prozesskostenhilfe abgelehnt wird oder die Ersparnisse knapp sind.

Vor deutschen Zivilgerichten ist der Weg zum Erfolg mitunter steinig: Rund 19.000 Euro Standardgebühren müssen für einen 50.000-Euro-Prozess in zwei Instanzen als Kostenrisiko einkalkuliert werden. Ein positives Urteil ist damit noch nicht verbrieft. Nach Schätzungen landen jährlich bis zu 18.000 Forderungen nicht vor Gericht und werden auch nicht auf ihre Erfolgsaussichten geprüft.

Diese Marktlücke schließen seit Ende der 90er-Jahre die Prozessfinanzierer. Ihr Angebot: Sie übernehmen das volle Risiko eines fremden Rechtsstreits gegen prozentuale Beteiligung am Gewinn. Mittlerweile sind etwa zwölf Unternehmen in der jungen Branche bundesweit tätig. Und die Nachfrage nach der neuen juristischen Dienstleistung ist enorm. „Wir übernehmen etwa einen von zehn angefragten Fällen“, erklärt Christopher Kasten von der Foris AG. Die Ablehnungsgründe seien unterschiedlich: „Bei fehlender Solvenz des Gegners oder dubiosen Auslandswohnsitzen sehen wir selten eine Chance. Viele Fälle halten wir für aussichtsreich, aber nicht für aussichtsreich genug.“ Manchmal fehlt für eine Zusage ein einziges Beweisstück.“

Die Geschäftsfelder von DAS Profi AG, Foris AG, Proxx AG und anderen sind meist vielfältig. Einige finanzieren aber nur Streitigkeiten aus dem Arzthaftungs-, Medizinschadens- oder dem Erbrecht. Andere sind auf Banken und Versicherungen, Baurecht oder auf Fälle aus dem Insolvenzrecht spezialisiert. Grundsätzlich funktioniert das Geschäft nur bei finanziellen Forderungen. Eine Scheidung oder ein Prozess um eine Baugenehmigung werden hingegen nicht übernommen.

Bei Streitwerten ab 50.000 Euro aufwärts können sich Rechtsuchende an die meisten Finanzierer wenden. Einige tragen das Risiko schon ab 10.000 Euro. Alle Finanzierer überprüfen vorab die Erfolgsaussichten des Rechtsstreits sowie die Zahlungsfähigkeit der Gegenseite. Nur bei positiver Prognose wird in den Fall investiert.

Die Kontaktaufnahme mit dem Finanzierer läuft in der Regel über den eigenen Rechtsanwalt, der den Mandanten auch während des Prozesses vertritt. Der Finanzierer bleibt während des Rechtstreits im Hintergrund. Rechtsberatung oder gerichtlicher Beistand ist ihm untersagt. Kommt es im Laufe des Prozesses zu Differenzen zwischen Mandant und Finanzierer, beispielsweise weil dieser einem angebotenen Vergleich zustimmen will, kann der Mandant das Verfahren auf eigene Kosten weiterführen. „So etwas kommt vor. In der Regel gibt es hierbei keine Probleme“, so Christopher Kasten. „Wir übernehmen die angefallenen Kosten und rechnen auf Basis des gerichtlichen Vergleichsvorschlages ab.“

Ist der Fall gewonnen, erhält der Prozessfinanzierer nach Abzug der Kosten 20 bis 50 Prozent des Erlöses. Marktüblich sind zurzeit 30 Prozent bei Streitwerten bis 500.000 Euro und 20 Prozent bei darüber liegenden Streitwerten. Obsiegt die Gegenseite, bleibt der Finanzierer auf den Kosten sitzen.

Rechtlich betrachtet ist die Finanzierung eines fremden Prozesses weder ein Kredit noch ein Versicherungsgeschäft, sondern ein Forderungskauf. Die Finanzierer unterliegen nicht der Aufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen oder der Bundesrechtsanwaltskammer. Wer sich für eine Finanzierungsanfrage interessiert, sollte sich also vorab bestmöglich über das Unternehmen informieren.

Die Insolvenz des Finanzierers bleibt für den Mandanten ein Restrisiko. Erst in Zukunft wird sich zeigen, wie profitabel die neuen Dienstleister arbeiten und wer sich etabliert. Denn die gerichtlichen Auseinandersetzungen mit hohen Streitwerten ziehen sich relativ lange hin. Durchschnittlich warten Mandanten zwei bis drei Jahre auf ein Urteil. SIMONE WEIDNER