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: JAN FEDDERSEN über Hilde Knef und andere VolksheldInnen

Anzeichen neuer Vergangenheitswahrnehmung

Es war eine spontane Entscheidung, und sie fällt auf deren Initiatoren nicht böse zurück: Die ARD hob Anfang der Woche zum Donnerstag eine dreistündige Direktübertragung von der Beerdigung Hildegard Knefs ins Programm. Erstaunlich viele Menschen dankten offensichtlich dieser Flexibilität; 1,2 Millionen Zuschauer zählte man schließlich, was einem für diese Tageszeit guten Marktanteil von 14,4 Prozent gleichkommt.

Die ARD hat also gelernt: nicht den Privaten das Spiel mit Glamour bis auf den Friedhof überlassen. Sondern selbst auf ihre, sagen wir: journalistischere Art zu betreiben. Was die Übertragung von der Beerdigung der Knef anbetrifft, wurde, was deutsche Verhältnisse anbetrifft, ein ganz anderes Zeichen kenntlich. Seit vorigem Jahr, als Joschka Fischers Frankfurter Vergangenheit letztmalig diskutiert wurde, deutet sich hierzulande eine Verschiebung der Wahrnehmung an. Auschwitz scheint als Paradigma für alle möglichen Erörterungen nicht erledigt, aber kanonisiert. An dessen Stelle tritt eine Beschäftigung mit der demokratischen Vergangenheit, mit dessen Kämpfen, Leiden und Freuden – mit deren Helden und Heldinnen. Und das sind nun einmal nicht mehr allein Schriftsteller wie Heinrich Böll, sondern zuvörderst Figuren wie die Knef.

Apropos Böll, dem immer alles vergebliche Vergangenheit war: Die intensive Anteilnahme an Grass’ neuem Buch „Im Krebsgang“, das der Autor ja als Angebot zur Debatte (und zur Herzensbildung) verstanden wissen will, die Tragödien der Deutschen, jenseits deren nationalsozialistischer Prägung, ernst zu nehmen und es als Thema nicht den Rechten zu überlassen, belegt es weiterhin: In diesem Land bewegt sich der Diskurs ein Stück über das Antinazistische hinaus – zum Stolz auf eine schwer errungene demokratische Tradition, die ohne die entnazifizierten Volksgenossen nie aufgebaut worden wäre.

Zu diesem – medial ja nur zum Ausdruck kommenden – „Gemurmel“ über neue Themen zählt eben auch ein Guido Knopp vom ZDF, den eigentlich nur eine Frage bewegt: Wie waren wir, als wir noch nicht waren und hatten, worauf wir heute stolz sind? Und zu diesem Wechsel zählt auch der Entschluss der ARD, der toten Knef eine Liveübertragung zu widmen: HeldInnen, die mit Nazitum nichts, mit demokratischem Aufbruch alles zu tun hatte.

Demokratische Zeiten sind Zeiten zweckfreier Zerstreuung (Sebastian Haffner). Die ARD hat begriffen, dass seine Zuschauer gerne die Auf- und Abstiege der Bundesrepublik nachempfinden möchten. Früher vermeldete die „Tagesschau“ zwar den Tod von Heinz Rühmann, aber einen wie Roy Black „vergaß“ man: In Marktanteilen gemessen zwar ein 70-Prozent-Gott, aber zu volkstümlich, zu trashig, zu beliebt in Kreisen, die das Bildungsbürgertum nicht mag.

Nicht einmal Marlene Dietrich, geschweige denn Willy Brandt wurde so öffentlich zu Grabe getragen. Hildegard Knefs letzter Auftritt war ein gelungener Versuch, den Nachgeborenen die Magie dieser Künstlerin begreifbar zu machen.