„Wir werden nicht gebraucht“

Der CDU-Politiker Karl Lamers fordert eine eigenständige Politik der EU zum Kampf gegen den Terror. Aufrüstung allein reiche nicht aus, damit ahme man nur die USA nach

taz: Die USA scheinen entschlossen, den Irak anzugreifen. Haben die Europäer da überhaupt noch eine Möglichkeit zur Einflussnahme?

Karl Lamers: Ja. Allerdings nur, wenn sie wirklich mit einer Stimme sprechen und dies auch entschieden tun.

Besonders viel Kritik hört man im Moment aber nicht.

Der deutsche Außenminister hat ja mal gesagt, wir hätten Amerika nicht zu kritisieren. Damals ging es auch um die amerikanische Irakpolitik. Da könnte man nun psychologische Analysen anstellen. Aber im Ernst: Wenn wir beklagen, dass die USA zu einseitig militärisch gegen den Terrorismus vorgehen, dann müssen wir selbst eine Vorstellung davon haben, wie wir den Terrorismus bekämpfen wollen. Die Europäer müssen also erst einmal eine eigenständige Politik formulieren. Sonst brauchen sie nicht zu klagen. Und sie müssen auch militärisch etwas in die Waagschale legen. Ich meine nicht, dass Europa so werden sollte wie die USA. Doch inzwischen ist der Abstand zwischen uns so groß, dass die Amerikaner keine Lust mehr verspüren, auf die Europäer zu hören. Wir werden nicht gebraucht, und wer nicht gebraucht wird, wird auch nicht gehört.

Europa muss also aufrüsten?

Die EU-Staaten müssen auch im militärischen Bereich größere Anstrengungen unternehmen. Aber eben nur „auch“. Die militärische Verteidigung steht zwar im Moment im Vordergrund, aber wir würden doch nur die USA nachäffen, wenn wir jetzt bloß noch ans Aufrüsten denken. Und einholen würden wir die Amerikaner sowieso nicht.

Doch woher soll das Geld für einen höheren Bundeswehretat kommen?

Ich klage seit langem, dass die EU immer weniger Geld für auswärtige Zwecke ausgibt. Und zwar nicht nur fürs Militär, sondern auch für die Entwicklungshilfe und die auswärtige Kulturpolitik. Ihr Anteil am Etat ist in Deutschland von 20 auf 12 Prozent gesunken. Wir regen uns in der Innenpolitik oft stundenlang über zweit- oder drittrangige Fragen auf. Unser Wohlergehen hängt aber von unseren Nachbarn ab, und zu unseren Nachbarn zählt heute auch Nordkorea.

Wollen die USA denn überhaupt ein starkes Europa?

Im Prinzip ja. Wenn Europa stark ist, haben die Amerikaner zwar zunächst ihre Schwierigkeiten damit, dann aber stellen sie sich schnell darauf ein. Die USA sind manchmal hart in ihren Methoden, aber das sind die Methoden des Stärkeren. Während die Europäer – und das ist eine meiner größten Sorgen – zunehmend Ressentiments gegen die USA entwickeln. Ressentiments sind aber immer Gefühle der Zukurzgekommenen.

Europa kann und darf sich nicht von den USA separieren. Gemeinsam bilden wir den Westen, einen kleinen und täglich kleiner werdenden Teil der Menschheit. Noch dominiert er die Weltordnung weitgehend. Er ist aber herausgefordert, und zwar nicht nur von der islamischen Welt, sondern auch von China oder Indien. Und auch von dem heute noch schwachen Russland. Diese Entwicklung können wir nicht aufhalten und wir sollen es auch gar nicht erst versuchen. Aber wir müssen sie so gestalten, dass sie sich nicht gegen uns richtet. Und wahrscheinlich können nur wir Europäer den Amerikanern vermitteln, die Welt auch mal mit den Augen der anderen zu sehen.

Wie könnte die EU-Außenpolitik institutionell verbessert werden?

Zunächst einmal müssen die Staaten diese lächerlichen Eifersüchteleien beenden. Sicher muss man die Außenminister der EU-Staaten nicht gleich abschaffen, aber diese müssen schon begreifen, dass sie einem großen Ganzen dienen. Außerdem muss das Entscheidungsverfahren beschleunigt werden, das heißt, es muss in außenpolitischen Fragen häufiger Mehrheitsentscheidungen geben. Und: Es müssen sich „coalitions of willing“ bilden.

Also jener feste Kern besonders integrationswilliger EU-Staaten, den Sie vor Jahren gefordert haben?

Es muss in der Außen- und Verteidigungspolitik einen solchen Kern geben. Einen festen Kern, aber eben auch einen offenen. Dem sich jeder Staat, der möchte, anschließen kann. Und mit dem alle, die sich nicht anschließen, absolut solidarisch sind. Im Rahmen des EU-Verfassungskonvents muss außerdem diskutiert werden, inwieweit die Außenpolitik zu einer Gemeinschaftsaufgabe werden soll. Denn wenn die Kommission zur Exekutive der EU wird, ist es problematisch, wenn sie außenpolitisch keine oder nur partielle Zuständigkeiten hat. Im wirtschaftlichen Bereich, etwa bei den WTO-Verhandlungen, kann sich die EU ja auch gegen die USA durchsetzen.

Wer sollte denn die europäischen Interessen in den USA vertreten? Solana – oder Blair und Schröder?

Wenn wir mit Javier Solana schon einen hohen Repräsentanten für die Außenpolitik haben, dann sollte der auch für die EU sprechen. Zugleich muss aber jedes Mitgliedsland auch deutlich machen, dass es hinter Solana steht. Solana hat es geschafft, dass er von den Israelis als Gesprächspartner ernst genommen wird. Auch in den USA ist es mit der Akzeptanz besser geworden, sie ist aber immer noch zu niedrig.

Besteht momentan nicht die Gefahr einer Spaltung der Nato in einen europäischen und einen amerikanischen Teil?

Ja, sie besteht, wenn beide Seiten so weitermachen. Ich war immer der Ansicht, dass die Nato nach dem Ende des Kalten Krieges entweder eine globale Funktion übernimmt oder an ihr Ende kommt. Wenn die Nato wie jetzt nur für die zweitrangigen Aufgaben der Sicherheitspolitik zuständig ist, dann wird sie keine zentrale Rolle mehr spielen.

Wäre es nicht sinnvoller, wenn die Europäer sich in erster Linie um europäische Probleme kümmern?

Nein. Dann wären wir endgültig auf den Status eines Vasallen herabgesunken. Das entspricht nicht unserem Selbstverständnis von der Rolle Europas und auch nicht unseren Interessen. Der Nahe Osten heißt doch nicht „nahe“, weil er in der Nähe von den USA liegt. Sondern an den Grenzen Europas.

INTERVIEW: SABINE HERRE