Vielleicht, vielleicht aber auch nicht

Erfolgsregisseur Pucher erliegt der Langeweile in Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“  ■ Von Karin Liebe

Die Erwartungen waren hoch. Mit seiner prickelnden Möwe-Inszenierung am Schauspielhaus hatte sich Stefan Pucher letztes Jahr endgültig in den Himmel der Regie-Shootingstars katapuliert – und in die Herzen des Hamburger Pub-likums. Nach Tschechow und Shakespeare nun also ein weiterer Klassiker: Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“.

Auf den ersten Blick ist Puchers Handschrift unverkennbar. Da spricht ein junger Mensch direkt ins Publikum, erzählt von seiner unendlichen Langeweile, der Qual, sich jeden Tag aufs Neue dem Müßiggang hingeben zu müssen. Der Königssohn Leonce (Alexander Scheer) strotzt vor Überdruss am Nichtstun. Zu ihm gesellt sich Valerio (Samuel Weiss), ein Mann, der die Faulheit mehr zu genießen scheint. Beide greifen bald zur Gitarre, dann wird geklampft und gesungen. Ein schönes, trauriges Lied: „While My Guitar Gently Eeeps“ vom jüngst verstorbenen Ex-Beatle George Harrison.

Bei Puchers Möwe-Inszenierung schluchzte man zu Neil Young, hier greift Lena (Wiebke Puls), die Prinzessin aus dem Reich Pipi, zum Ackordeon und singt herzergreifend über ihr Unglück. Sie soll den ihr völlig unbekannten Leonce heiraten, zieht aber dann doch die Flucht mit ihrer tatkräftigen Gouvernante (Ursula Doll) vor. Als Videoprojektion erscheinen die beiden dann auf der riesigen Plexiglaswand, die die Drehbühne in zwei Hälften teilt. Melancholische Musik und Videoprojektionen gab es immer bei Pucher. Doch diesmal entfalten sie keine suggestive Kraft, wirken aufgesetzt und hilflos. Auch seine anderen Prinzipien funktionieren nicht richtig. Wieder wird der Text nur geringfügig gestrafft und die Sprache weitgehend beim Alten belassen. Der Transfer des 1836 geschriebenen Stücks in die Gegenwart gelingt damit aber nicht – auch sich ins Konfuse steigernde Wiederholungen und kurze Aussteiger aus dem Stück wirken eher unmotiviert und beliebig. Ein Regiekonzept, das bei der Möwe und dem Kirschgarten mit Bravour aufging, läuft hier ins Leere. Trotz einiger origineller Einfälle wirkt das Ganze merkwürdig fragmentarisch und unambitioniert – als hätte der Regisseur während der Proben die Freude am Stück verloren.

Ob diese Wirkung beabsichtigt ist? Immerhin geht es hier um Überdruss und Langeweile der aristokratischen Schicht. Büchners Stück ist ein einziger satirischer Seitenhieb auf eine unfähige Obrigkeit, die in der Figur des vertrottelten Königs Peter vom Reiche Popo gipfelt. Nachdem der Monarch dem Staatsrat verkündet hat, dass sein Sohn Leonce entweder heiratet oder nicht, gelangt er zur philosophischen Erkenntnis: „Ich bin ich.“ Der Staatsrat antwortet diplomatisch: „Vielleicht ist es so, vielleicht aber auch nicht.“ Wolf-ram Koch spielt den Monarchen mit heruntergelassenen Hosen. Er dreht dem Publikum den Rücken zu und dirigiert die im Saal verteilten Untertanen. Diese blasen im dissonanten Kanon in Mundharmonikas, wobei sich des Königs nackter „Popo“ im Rhythmus zu seinen erhobenen Händen entblößt.

An dieser Stelle hat Pucher einen seiner Einfälle, für den man ihn knutschen könnte: Im ganzen Parkett ertönt plötzlich ein melodisches Summen, eine simultan in die Mundharmonika gesungene Antwort: „Vielleicht ist es so, vielleicht aber auch nicht.“ Das Volk spricht, nein: es singt, und das ganze Haus vibriert vor dieser Kraft. Noch einmal, gegen Ende des Stücks, als der König sein Volk zur Hochzeit aufstellen lässt, erhebt es, diesmal ganz laut, seine Stimme. „Wir haben die Nase voll“ und „verpiss dich!“ rufen die Untertanen durcheinander und schwingen wütend die Fäuste. Aufstand im Parkett: Das hat Stil. Doch so plötzlich er begann, so schnell und ergebnislos legt er sich wieder. Die Hochzeit findet statt, ob mit Volk oder ohne – egal auch, ob mit dem richtigen Brautpaar. Ein Sturm im Wasserglas wars nur.

nächste Vorstellungen: 17. und 23.2., 20 Uhr, Schauspielhaus