„Ich dachte: Das ist wie in Genua“

■ Von Polizisten getreten, geschlagen und mit dem Tode bedroht wurden drei Bremer Schüler beim EU-Gipfel im Dezember. Heute stehen sie in Brüssel vor Gericht. Der Vorwurf: „Rebellion“

Zusammen mit Tausenden von Globalisierungskritikern gingen Hannes*, Benjamin und Niels Mitte Dezember in Brüssel gegen die Globalisierung auf die Straße. Doch der harmlose Demo-Ausflug zum EU-Gipfel wurde für die drei Bremer Schüler, Studenten und Praktikanten zum Alptraum: Als sie einige Stunden nach der großen Demonstration durch eine Seitenstraße gingen, stürmten zehn belgische Zivilpolizisten auf sie zu, warfen sie zu Boden, schlugen, traten und bedrohten sie. Heute stehen sie in Brüssel vor Gericht. Der Vorwurf: „Rebellion“.

„Ich hatte nicht erwartet, dass es so heftig wird“, sagt Hannes, dem die Beamten auf dem Boden die Mütze über die Augen gezogen hatten: „Bis ich die Schmerzensschreie der anderen hörte.“ Er ist mit jetzt 19 Jahren der Jüngste der drei; Brüssel war seine erste Demonstration im Ausland. Mehr als 24 Stunden verbrachten die Bremer nach ihrer Festnahme im Polizeibus, auf der Wache und in verschiedenen Zellen.

Ob mit dem Anklagevorwurf eher Landfriedensbruch oder Widerstand gegen die Staatsgewalt oder beides gemeint ist, weiß auch Johanna Callewarc, eine der AnwältInnen der drei, nicht sicher: „So genau geht das aus der Anklageschrift nicht hervor.“ Vier der Zivilpolizisten haben schriftlich ausgesagt, die drei am Ende der Demonstration beim Steinewerfen beobachtet zu haben. Die Angeklagten streiten das ab. „Das ist alles völlig aus der Luft gegriffen“, sagt Benjamin, der demnächst seinen Zivildienst beginnen will. Im schlimmsten Fall drohen ihm und seinen Freunden mehr als ein Jahr Gefängnis.

Über eine Klage gegen die belgischen Polizisten denken die drei noch nach. Gefesselt mussten die Bremer Mitte Dezember im Polizeibus knieen, bekamen immer wieder Schläge auf den Hinterkopf versetzt. Benjamin: „Ich hab gedacht, die nehmen uns jetzt richtig auseinander.“ Schlimmer noch als die Schläge waren verbale Drohungen. „Die haben gleich klargestellt, dass sie uns als ihre Feinde ansahen“, sagt der 21-Jährige.

Seinem Freund Niels, der nach den Stiefeltritten Platzwunden an Schläfe und Stirn und eine offene Lippe hatte, drohten die Polizisten, ihn von der Brücke in einen Kanal zu werfen. „Die Besten sterben jung“, hätten sie dazu nahezu akzentfrei die „Bösen Onkelz“ zitiert. Und: „In Belgien gibt es keine Demonstration.“ Da, sagt Benjamin, habe auch er „wirklich Panik“ bekommen: „Ich habe an die Berichte aus Genua gedacht.“

Auf der Wache seien dann gestellte Fotos von ihnen angefertigt worden, erzählt Hannes. Bevor die Polizisten sie der Staatsanwaltschaft zum Verhör übergeben hätten, sei dem verletzten Niels im Krankenhaus noch unter Zwang ein Schmerzmittel verabreicht worden. Anwältin Callewarc steht einer Klage gegen die Polizisten dennoch skeptisch gegenüber: „Die Erfolgsaussichten sind bei so etwas immer gering.“

Weder von der Brüsseler Polizei noch von der Staatsanwaltschaft war am Freitag eine Aussage zu den Vorfällen Mitte Dezember zu erhalten. „Da können wir nichts dazu sagen“, so eine Polizeisprecherin gegenüber der taz. Erst müsse der Ausgang des Verfahrens gegen die drei Bremer abgewartet werden.

Benjamin, Niels und Hannes werden heute vor Gericht verlangen, die polizeilichen Videoaufnahmen von der Demonstration anzusehen. Mit deren Hilfe wollen sie ihre Unschuld beweisen. „Laut Polizei ist darauf nichts zu sehen“, sagt Anwältin Callewarc. Die Einsicht in die Aufnahmen haben die Angeklagten bereits vor Wochen beantragt. Der für letzten Freitag geplante Videotermin platzte jedoch: Die Bänder waren verschwunden. Callewarc: „Das ist schon sehr merkwürdig.“

Die Anwältin plädiert auf Freispruch. Benjamin ist nicht so optimistisch: „Da stehen vier Polizei-aussagen gegen unsere drei.“ Er hofft, „gut wegzukommen“ und nur zu Arbeitsstunden oder einer Bewährungsstrafe verurteilt zu werden. Nach belgischem Recht hätten die Angeklagten auch die Möglichkeit, sich unabhängig von ihren tatsächlichen Vergehen für schuldig zu bekennen und den Richter zu bitten, von einem Urteil abzusehen. Da ist Benjamin sich jedoch sicher: „Das kommt für uns nicht in Frage.“ hoi

*Name geändert