montagsmaler
Handküsse und Türaufhalten
: Mach nicht den Jochen

Gerade hatte mir meine Exfreundin in spe mühsam eingetrichtert, wie wichtig es sei, Frauen gegenüber auf altmodische Art höflich zu sein, da macht mir meine eigentliche Exfreundin eine Szene, als ich aus dem Mantel helfen will. Angeblich soll man ja in Amerika jede Frau mit einem Handkuss rumkriegen, weil das auf Amerikanerinnen so fremd und europäisch sexy wirkt. In Spanien funktioniert das nicht, die Reaktion war wie so oft: „No séas hortera!“ „Sei nicht hortera!“

Dieses spanische Wort, das sie mir nie genau übersetzen konnte, muss etwas zwischen kitschig und spießig bedeuten. Im Wörterbuch steht „hölzerner Suppennapf“. So wie sie es mir gegenüber gebraucht hat, könnte man vielleicht einfach schreiben: „sich wie Jochen verhalten“. Die Diskussion führt dann sehr ins Detail: Ist es unhöflich von dir, mir nicht zu gönnen, dir eine Freude zu machen (wo es doch nur vorgegaukelt ist), oder ist es unhöflich von mir, dir eine Freude machen zu wollen, die für dich gar keine ist. Mein Vergleich mit einem Weihnachtsgeschenk, über das man sich ja auch künstlich freuen muss, zieht nicht.

Darüber müssen wohl spätere Generationen entscheiden. Es wäre nur gut, rechtzeitig zu wissen, welche Frau einem an den Hals springen wird, weil man durch Türaufhalten „das Geschlechtersystem zementiert“, und welche einen sitzen lässt, weil man kein Kavalier ist. Über beide Haltungen habe ich schon lange Diskussionen geführt und dabei jeweils die Gegenposition vertreten, genauso wie ich Freundinnen gegenüber abwechselnd Israelis und Palästinenser verteidige, ohne eigentlich etwas davon zu verstehen.

Die Diskussion über Staatsbürgerschaftsrecht, in die wir uns anschließend retten, nachdem wir uns ein Jahr nicht gesehen haben, gerät leider auch aus dem Ruder. Ich finde mich mit einer rechtsradikalen Position wieder, weil sie sich auf ihre linksradikale Position versteift, das Programm der PDS sei in diesem Punkt ein pathetischer Witz. Ich kenne es gar nicht und vor allem nicht auf Spanisch, jedenfalls weiß ich jetzt, dass man zwischen ciudadanía und nacionalidad unterscheiden muss. Und dass es klüger gewesen wäre, ihr nicht zu sagen, dass es mich eigentlich beruhigt, dass sie meinen Bundeskanzler nicht wählen darf.

Immerhin stellen wir, kurz bevor wir uns für ein weiteres Jahr verabschieden, fest, dass wir beide immer Rod Steward gut fanden, obwohl es peinlich war. Wenigstens eine Gemeinsamkeit, aber vielleicht zu wenig, um darauf eine gemeinsame Zukunft aufzubauen.

Die Party am Abend ist dann ein voller Erfolg, auch wenn ich bis zum Schluss bleiben muss, um das einzusehen, als nämlich der Satz fällt: „Du hast doch Muskeln“, der mein ganzes Weltbild auf den Kopf stellt, das ja vor allem aus Vorstellungen über mich selbst besteht. Wo mich doch neulich sogar schon ein sechsjähriger Türke in der Straßenbahn eingeschüchtert hat, weil er mich böse ansah und „Fuß weg!“ verlangte. Beim nächsten Mal werde ich ihm ganz anders entgegentreten.

Der Heimweg dauert länger als gedacht, weil Berlin größer ist als nötig und ich betrunkener als geplant. Ich hatte zwar irgendwann damit begonnen, Kindl zu trinken statt Beck’s, weil ich dachte, die Flaschen seien kleiner, aber dann wies mich ein Kollege und Kenner darauf hin, dass in beiden Flaschentypen 0,33 Liter waren. Daher das leichte Schwindelgefühl. Noch im Bett ärgere ich mich, dass ich mit meiner Spanierin wieder über Politik geredet habe und nicht über das, was mich im Moment wirklich bewegt, dass ich nämlich meinen Kalender nicht auf Februar blättern kann, weil die Februar-Britney eine einzige Farce ist und ich doch nicht jetzt schon den März aufschlagen kann, wo sie wieder zu ihrer alten Form finden wird.

JOCHEN SCHMIDT