mit einem blair im grab
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von RALF SOTSCHECK

Ah, das Oberhaus – nie versiegende Quelle der Unterhaltung und des geriatrischen Frohsinns.

Eine Liveübertragung aus dem Londoner House of Lords ist amüsanter als die beliebte englische Fernsehserie „Mit einem Bein im Grab“, deren Titel viel besser zum Oberhaus passen würde. Die gepolsterten Bänke sind bequemer als im Unterhaus, und so mancher Lord macht ein Nickerchen, während seine Kollegen stundenlang aneinander vorbeireden. Selbst Lady Thatcher, die früher „Margaret“ hieß und „der eiserne Kotzbrocken“ genannt wurde, schien bei ihrer ersten Oberhaussitzung um ein Jahrzehnt zu altern.

Ihr Enkel Tony Blair will diesen Parkplatz für abgehalfterte Politiker nun reformieren. Modernisierung heißt das Stichwort, das schon für die Transformation von Labour nach Tory herhalten musste. Doch ebenso wie damals, als Blair sich scheute, gleich auch den Namen seiner Partei abzuschaffen, erweist er sich bei der Oberhausreform als Großmeister der Halbherzigkeit: Bloß niemanden vor den Kopf stoßen, schon gar nicht die eiserne Oma. So präsentierte er eine rechnerische Wunderformel, die – wenn sie aufginge – ihm umgehend den Nobelpreis für Mathematik einbringen würde. Aber sie geht nicht auf.

Im Altenklub von Westminster sitzen 600 Adlige. 20 Prozent davon sollen künftig gewählt werden. Die Regierung und die Parteien dürfen 60 Prozent, also 360 Leute, entsenden, wenn es nach Blair geht. Das wird vermutlich nicht auf Widerspruch der anderen Parteien stoßen, schließlich hätten auch sie gern ein Reservat für Ausgemusterte. Doch die restlichen 20 Prozent sollen von einer unabhängigen Kommission ernannt werden, die eine Balance in Hinblick auf Geschlecht, Rasse, Religion und Region finden muss. Das allerdings geht gar nicht.

Es gibt 16 anglikanische Bischöfe, die ein Anrecht auf einen Sitz im Oberhaus haben. Räumt man den anderen Religionen eine proportionale Zahl ein, wären 77 der 120 Sitze besetzt, obwohl 55 Prozent der Bevölkerung überhaupt keine Geistlichen in der Legislative wollen. Und was ist mit den anderen drei Kriterien? Selbst mit einer Horde weiblicher Rabbis von den Orkneyinseln und mit sämtlichen Hindubischöfinnen aus Südostwales würde Blairs Balanceakt nicht funktionieren. Außer, man würde die Zahl der Oberhausabgeordneten verdoppeln, dann wäre auch Platz für Hare-Krishna-Lords.

Die Guardian-Kolumnistin Polly Toynbee freut sich darauf, bald in der einzigen Theokratie der westlichen Welt zu leben: „Die ganzen homophoben und abtreibungsfeindlichen Fundamentalisten würden das Oberhaus zu einer Institution machen, die das britische Volk nicht repräsentiert“, findet sie, und damit hat sie recht. Es gibt nur eine Lösung: Tony Blair muss ins Oberhaus – als Schnittmenge des Volkes. Er ist protestantisch, geht mit seiner Frau aber in die katholische Kirche, er stammt aus Schottland, lebt aber in London, er isst Porridge zum Frühstück und Chicken Tikka Massala zum Abendessen. Jetzt muss er sich nur noch operieren lassen.