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Zünftige Lachmuskelmassage

Faszinierender Fasching. Eine Wahrheit-Reportage in den allerhöchsten Tönen

Nur bei der Folter-Szene desPolizei-Kabaretts blieb vielen das Lachen im Halse stecken

AUERWALD taz ■ Von Null auf Hundert katapultierte die alte Garde mit ihrem Tanz „Cabaret“ die Stimmung der Fans der Auerwalder Faschingsgesellschaft (AFG) am Samstag im ausverkauften Auerwalder „Fantasia“. Mit 25 Gongschlägen verkündete Andreas Schön das bevor stehende Ende der 25. Narrensaison, unter dessen Motto auch das über dreistündige närrische Programm stand. Die „AFG“ machte wieder mal ihrem Namen vollste Ehre „in Anführungsstrichen“. Es herrschte strengste Alkoholpflicht, und der blonde Gerstensaft und der goldene Rebensaft floss in Strömen. Keine Chance dafür, dass wie im vorigen Jahr die Stimmung wegen schleppender gastronomischer Verproviantierung getrübt wurde. Und erst recht keine Chance für richtige „AFG“, sprich „Alkohol-Freie-Getränke“.

„Ein Vierteljahrhundert Auerwalder Fasching“, dem verrücktesten Karneval der Region, seinerzeit wieder angeschoben vom Rüdiger Kraus, war das Motto und brachte auch ein Wiedersehen mit alten und neuen Stars der „AFG“, das mit dem Einmarsch der 25 Prinzenpaare begann. Ehrungen auch für die weiteren ehemaligen Präsidenten und die jetzt amtierende Anita Wekwerth, die mit ebenso großen Lachsalven gefeiert wurde wie die jüngsten Akteure, die Marktredwitzer Kindergarde, die mit „Stars und Stripes“ begeisterte, sowie die Kindergarde der „AFG“, die lustig humpelnd mit dem „Minenopfer Can-Can“ Zugaberufe einheimste nach einem gelungenen Schuss mit der Konfetti-Kanone.

Noch ein Highlight: die traditionelle Prinzessinnenwahl. Wieder einmal wurden spontan und ohne doppelten Boden drei junge Damen aus dem Publikum gegriffen. Zieren war nicht möglich, angefeuert vom Publikum mussten Sabrina, Michelle und Aletta nacheinander mit George W. Bush alias Prinz Ronnie II. „ins Bett“. Ein Telefonanruf Ussama Bin Ladens störte die liebliche Zweisamkeit, Michelle hatte die passendste Anwort für den „ungebetenen Anrufer“ und wurde flugs zur Jubiläums-Prinzessin gekürt. Da war Halli-Galli, Stimmung und Satire pur. Denn wenn die „AFG“ auf die Pauke haut, bleibt kein Stein mehr auf dem andern. Wie in Afghanistan.

Einen originellen Gag steuerte die Firma Auto-Steudel bei: Die von ihr gesponserten Deckenbeleuchtungs-Körper waren aufgeknüpften Al-Qaida-Kämpfern nachgebastelt. Auch nach dem 11. September, meinten die närrischen Radiosprecher vom „Radio Euroherz“, welche durch das Pogrom führten, müsse das Leben weiter gehen. Man dürfe sich schließlich nicht von einer Handvoll Fanatisten die Gute Laune verderben lassen, und damit hatten sie eindeutig die Lacher auf ihrer Seite.

Überhaupt kannten die Narren heuer wieder kein Pardon und kein Tabu. Auch von den größeren Sorgen der Region wurde kein Blatt vor den Mund genommen. Und so legte Vivienne Schlichter vom „Auerwald-Duo“ als „Cleanie“ mit kabarettreif treffsicherem Humor den Finger in die Wunde zu Problemen der kommunalen Politik. So war sie sich mit der Hauswirtschafts-Umschülerinnengruppe einig, dass man im Rathaus einen Hengst brauche, um die ganzen Schulden zu „decken“. Zwerchfell Massierendes war während dieser Sitzung auch über den Auerwalder Straßenverkehr mit Umleitungen und Staus vom Kabarett der hiesigen Polizei-Inspektion „Die Stichlinge“ zu erfahren. Die bekannten Moderatoren Thomas Lämmer und Klaus Rüdiger vom „Radio Euroherz“ konnten das Publikum nach dem zweiten Sketch kaum noch beruhigen, in dem unsere Ordnungshüter augenzwinkernd und mit humoristischen Einlagen ihre eigenen Schwächen bei der Festnahme der rumänischen Autoknackerbande von vor zwei Monaten auf’s Korn nahmen. Nur bei der Folter-Szene blieb vielen im Saale das Lachen im Halse stecken. Aber wo „gehobelt“ wird, fallen bekanntlich Späne.

Da die „AFG“ keine Regeln aufstellt, keinen Orden verleiht oder sonst etwas vorschreibt, konnte jeder nach seinem Ermessen erscheinen. Es herrschte kein Kostümzwang. Ein paar „schwarze Schafe“ hatten sich auch wie üblich immer wieder eingeschlichen, die an alle in Nordallianz-Kostümen erschienenen männliche Gäste gefälschte Vergewaltigungs-Bons verteilten. Alfred Schmidt und seine Combo bewies ihr Inprovisationstalent, als sich diverse verschleierte Pam Andersons, Naddels und Geli Beers lautstark beschwerten, weil auf den ihnen von den Allianzlern hinter her präsentierten Bons der Stempel der „AFG“ fehlte. Und nun fühlten sich unsere Flintenmädels natürlich zu Unrecht vergewohltätigt. Doch die „Übeltäter“ mussten mit Arretierung durch die Saalpolizei rechnen, die heuer als US-Marines auftrat, und konnten nur frei geküsst werden oder sich frei kaufen. Von dem Geld konnten wieder zwei Euro gespendet werden für einen „sehr guten Zweck“, nämlich dem Wiederaufbau des Asylanten-Heims im Stadtteil Obergfährt, welches bei einer Feuerwehrübung versehentlich mitabgebrannt ist.

Das Hofdamen-Orchester des Weiberelfer-Rates, das Männer-Ballett oder die Garde – alle wurden im Finale zünftig gefeiert und die Lach-Muskulatur kam nicht zu kurz. Alles in allem ein gelungener Abschluss der 25. Saison. Noch einmal ein zünftiges „Helau!“ an das Team vom „Fantasia“. MICHAEL RUDOLF

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