Zehn kleine Hunde

Zwei Tierschützer stehen wegen Hunderaubs vor Gericht. Sie überfielen eine Yorkshireterrier-Züchterin. Die soll ihre Tiere vernächlässigt haben

„Ich habe den Tieren das Versprechen gegeben, sie da rauszuholen“

von KIRSTEN KÜPPERS

Die Wahrheit ist ein launisches Ding. Sie dreht und wendet sich, je nachdem, wer die Geschichte erzählt. Vor dem Gerichtssaal sitzt eine alte Frau in grauem Rock und türkisfarbenem Pullover. Sie heißt Hildegard Krüger und ist 76 Jahre alt. Seit einem viertel Jahrhundert züchtet Hildegard Krüger Hunde, zuerst begann sie mit Pudeln, dann brachte ihr Mann aus England zwei Yorkshireterrier mit, und Hildegard Krüger wurde eine der ersten Yorkshireterrier-Züchterinnen der DDR.

Es ist eine traurige Geschichte, die Hildegard Krüger erzählt. Am 23. Januar letzten Jahres bekam sie nachmittags in ihrer Laube in Berlin-Blankenburg Besuch, sagt sie. Ein Mann, der sich als Polizist ausgab, sei gekommen, er wolle einen Yorkshire-Welpen als Geschenk für seine Freundin kaufen und später noch einmal vorbeischauen, habe er behauptet, vielleicht würde er einen Kollegen mitbringen, der auch an einem Schoßhund interessiert sei.

Als die zwei Männer abends im Garten erschienen, lud Frau Krüger die beiden in ihre Wohnstube, setzte sich in ihren Lehnstuhl und plauderte mit ihnen ein Stündchen Belangloses. Schließlich wollte die Hundezüchterin zur Sache kommen und fragte: „Wollen Sie nun einen Hund haben oder nicht?“ Da seien die beiden Männer seltsam geworden. Hildegard Krüger ruckelt sich auf der Bank vor dem Gerichtssaal zurecht, sie holt tief Luft, fast ein Schnaufen ist das.

Die Männer haben sie mit Handschellen und Klebeband an ihren Stuhl gefesselt, berichtet sie weiter, sie schlugen mit einem Stahlrohr auf ihre Unterarme ein, schmierten Schmalz in ihre Haare und bestreuten sie mit Mehl, die Brille wurde zertreten. Ihr ganzes Zuhause hätten die Kerle verwüstet und ihr zu guter Letzt das Liebste genommen, was sie besaß: ihre zehn Hündchen. Wert der Beute: 50.000 Mark. Hildegard Krüger seufzt, und man weiß nicht, ob wegen des Schmerzes oder des vielen Geldes.

Im Gerichtssaal sitzen die beiden Angeklagten. Was der 49-jährige Frank B. erzählt, lässt das Geschehen in einem anderen Licht erscheinen. Demnach wollten sie „Bijou“, „Bella“, „Billie“ und die anderen kleinen Terrier nur aus den Händen einer bösen Tierquälerin befreien. Bei seinem ersten Besuch am Nachmittag habe er die Hunde in einem katastrophalen Zustand vorgefunden: „Ausgemergelt, zitternd, und verdreckt in Bergen von stinkendem Müll“, erklärt er. „Ich habe den Tieren das Versprechen gegeben, sie da rauszuholen, ihre kleinen Seelen waren gebrochen.“ Wenn Frank B. grimmig hinter der Balustrade der Anklagebank auf und ab geht, erinnert der bärtige Mann mit den struppigen Haaren selbst ein wenig an ein nervöses, wildes Tier. Er ist sehr aufgebracht, immer wieder schreit er den Richter an, und man hat den Eindruck, er spinnt ein bisschen.

Am Abend des besagten Tages ist er gemeinsam mit seinem Bekannten aus einem Tierschutzverein mit einem Lieferwagen noch einmal bei Hildegard Krüger vorgefahren. Und es war der erneute Anblick der Verwahrlosung, der schmutzigen Räumlichkeiten und der engen Drahtkäfige mit den kauernden Hunden, der etwas in seinem Inneren zuschnappen ließ, sagt B. Er fesselte die Frau mit Handschellen und schlug auf sie ein. Die Tiere luden die Männer in Pappkartons und fuhren sie zu einer Familie in Zehlendorf, wo sie von einem Tierarzt versorgt wurden. Inzwischen seien die Hunde an neue Besitzer verteilt und befänden sich in guten Händen.

Frank B. steht heute nicht nur wegen Selbstjustiz und Hunderaubs vor Gericht. In einer zweiten Anklageschrift wird ihm vorgeworfen, wiederholt sexuelle Handlungen an Kindern vorgenommen zu haben. Der Richter hat sich indes vorgenommen, zuerst die Sache mit dem militanten Tierschutz zu verhandeln.

Hildegard Krüger sitzt währenddessen immer noch draußen vor dem Gerichtssaal. Sie nestelt an einer Plastiktüte und erzählt, sie könne sich schon erinnern, irgendwann eine Abmahnung vom Amtstierarzt erhalten zu haben. Sie sei krank gewesen, habe viel im Bett gelegen, deswegen habe sie sich nicht so sorgfältig um ihre Hunde kümmern können. Auch jetzt gehe es nicht sehr gut. „Der Diebstahl hat mich in die Armut getrieben“, sagt sie und hebt anklagend ihren Gehstock. Ihre braune Strumpfhose ist über der Wade zerrissen. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.