Alles weggewischt

Monsterhits auf der Zombie-Tour: Bei „Rock meets Classic“ bekam man am Sonntag im Tempodrom gesammelte Jugenderinnerung in gähnender Belangslosigkeit serviert

Natürlich will man immer nur Sensationen. Die Dame ohne Unterleib, mindestens, und das Kalb mit den zwei Köpfen. Wenn schon fadenscheiniger Geschmack, dann soll es auch die ganze Kuschelrockpackung sein. Genüsslich hat man sich vorab die Namen aufgezählt: Barry Ryan. Percy Sledge. Der olle Nazareth-Schreihals Dan McCafferty. Und alle an einem Abend. Dazu das Radio Sinfonie Orchester Sofia, das wohl gerade billig zu haben war für diese Monsterhits auf Zombietour. Aufgeplustert angekündigt als „Rock meets Classic“. Welch schöner Schrecken hätte das sein können. Und entpuppte sich nur als keimfrei abgewickelter Abend in lähmender Belanglosigkeit. Wobei es doch mindestens um die feuchten Schwitzhände der Jugend hätte gehen sollen.

Die Geschäftsidee ist dabei so alt wie clever: mit einer mehr oder weniger arbeitslosen Promirunde an Ehedem-Stars die verschiedenen Generationen bei ihrer Pubertät zu packen. Doch am Sonntag musste der Blick des Rechnungsprüfers eher resigniert durch die nur schütter besetzte Arena schweifen, während der Orchestervorstand bereits mit seinem Stab in der Luft stocherte und den Geigenhimmel umrührte, der bei Bedarf natürlich locker von der E-Gitarre niedergebrettert wurde. Ohne weitere Ambitionen hielt man sich an die Originalvorlagen. Die Verbindung aus Kaugummipop und wagnerianischem Pomp. Barry Ryan führte sein bekannt nettes Plüschpüppchen „Eloise“ spazieren. „This Flight Tonight“ tat das Orchester sogar richtig gut. Aufgegospelt. Mit einem Schmiss versehen, den die Nummer bei Nazareth so nicht hatte. Ein Pluspunkt, den Dan McCafferty mit einer brünstigen „Guilty“-Version gleich wieder verschenkte.

Was aber egal war. Percy Sledge machte den korrekten Entertainer und ging für „When a man loves a woman“ auf die Knie. Dass man bei diesem Arbeitsethos gern ein wenig mitbibberte, ob ihm die Stimme nicht vollends wegbrach. Alles, was man erwarten durfte. Alles abgehakt. Alles artig beklatscht. Rechtschaffen mimte man die Begeisterung, die man seiner eigenen Jugend und dem stolzen Eintrittspreis von 36 Euro schuldig war.

Kurz versuchte man es mit einem Schunkeln. Und stellte das Bemühen immer wieder schnell ein, und die letzten Fleckchen Charme verflüchtigten sich vollends, als die Sause in einen Christopher-Cross-Showblock ausfadete, dessen gefahrfreier Schmusedeckenpop nachträglich noch den sanftmütigen Cat Stevens zum raubeinigen Rock ’n’ Roller adelte. Nichts mehr mit dem Jugendglück. Nur noch die wahrhaft schreckliche Fratze des Adult Orientated Rock.

Aber da war den Erinnerungen sowieso längst das ganze Blut abgezapft. Rock wischte Klassik weg. Klassik killte Rock. Und alles andere gleich mit bei der Versuchsanordnung der Vergeblichkeit. Alles, was den Monsterhits einst erst ihren Sinn gab. Die Partykeller. Der Stehblues. Übrig blieb allein ein bunt ausgeleuchtetes Nichts. Für Zombie-Erinnerungen. So lähmend, als ob man beim Petting nur zuschauen darf. THOMAS MAUCH