Neues aus dem Führerbunker

„Im toten Winkel“ (Panorama): Fürsorglich lauschen Othmar Schmiderer und André Heller Hitlers ehemaliger Sekretärin, um neue Details über Hitler privat zu erfahren

Ende April 1945 hat Eva Braun den Führerbunker noch mal verlassen. Die Granaten der russischen Artillerie schlugen schon ganze nahe ein, aber Eva Braun wollte frische Frühlingsluft schnappen. Da sah sie in einem Park eine Statue, die ihr gefiel, und als sie wieder im Bunker war, sagte sie zu Hitler: Wenn du den Krieg gewonnen hast, dann schenk mir diese Statue. Das geht doch nicht, antwortete Hitler, ich kann doch eine Statue aus einem öffentlichen Park nicht einfach in deinen Garten stellen. Dann redeten sie wieder darüber, wie man sich am besten tötet: mit Gift oder mit der Pistole.

Diese Episode erzählt Traudl Junge, heute 82, damals Hitlers Sekretärin. Der Führerbunker im April war ein Tollhaus, in dem Charles Manson nicht weiter aufgefallen wäre. Es wurde noch geheiratet, gefeiert, irgendein Abtrünniger erschossen, Himmler und Göring wurden als Verräter ihrer Posten enthoben. Die SS sang zum Akkordeon, als die Sowjetarmee einen Steinwurf entfernt war. Tag und Nacht verschwammen, man wartet, und je länger man wartete, umso weniger wusste irgendwer zu sagen, worauf. Am Ende wurde sogar „in Hitlers Gegenwart geraucht“. So ging die Nazibarbarei zu Ende. Neu ist das alles, bis auf ein paar Details, nicht.

So hört man 90 Minuten lang Traudl Junges Erinnerungen und Selbstanklagen. „Ich war ein kindisches, dummes Ding“, sagt sie, Zufall und Neugier brachten sie geradewegs in den Vorhof der Hölle. Sie wundert sich noch immer, wie sie, das unpolitische Mädchen, in Hitler eine Art freundlichen Ersatzvater sehen konnte, blind für allen Terror. „Im toten Winkel“ ist ästhetisch ziemlich simpel: erzählen, erzählen, erzählen. Und Traudl Junge redet ohne jene sprechenden Pausen, ohne jenes Atemholen und Zögern, das Erinnerung an verdrängten Schrecken stets begleitet. Die Regisseure Heller und Schmiderer kokettieren damit, dass Junge, SPD-Mitglied und gestandene Wissenschaftsjournalistin, nach 55 Jahren ihr Schweigen gebrochen habe – aber das ist nur die halbe Wahrheit. In den 50ern war sie Mitarbeiterin von G. W. Pabst bei dessen NS-Film „Der letzte Akt“. Nein, dieser Monolog ist nicht naiv, nicht direkt und unverstellt. Wir hören einer Frau zu, die viel über sich nachgedacht hat. Deshalb klingt André Hellers Bemerkung, dass er Junges heftigste Selbstanklagen herausgeschnitten habe, um sie vor sich selbst zu schützen, so eitel. Traudl Junge, eine kluge, reflektierte Frau, braucht solchen Schutz nicht, der sie (und, nebenbei, den Film) moralisch imprägniert. Denn „Im toten Winkel“ ist nicht nur Reflexion einer Verführung, er kommt auch dem manischen Interesse der Deutschen entgegen, etwas über Hitler privat zu erfahren. Auch hier im Grund nichts Neues: Hitlers Geheimnis war seine Geheimnislosigkeit, im Zentrum des Bösen regierte Kleinbürgerlichkeit.

Hellers Paternalismus ist ein Schlüssel zum Film, dessen Subtext das Verhältnis der zweiten Generation zu den Eltern-Tätern ist. „Im toten Winkel“ mag man als Gegenbild zu Thomas Harlans berühmten, wütenden Vater-Nazi-Exorzismus „Wundkanal“ ansehen. „Im toten Winkel“ blickt die zweite Generation milde-paternalistisch auf eine reuige Vertreterin der Elterngeneration. Kann es sein, dass die Fürsorglichkeit, die Heller/Schmiderer ihrer Heldin angedeihen lassen, vor allem sie selbst nobilitiert? STEFAN REINECKE

„Im toten Winkel. Hitlers Sekretärin“. Regie: André Heller, Othmar Schmiederer. Österreich 2001, 90 Min.