Die Stadt der Geister

Verschwundene Körper und die Anwesenheit des Anderen: „Fantômes“ (Forum) ist ein Mystery-Horrorfilm über die Liebe in der Zeit vor dem Ende

von ANDREAS BUSCHE

„Fantômes“, der zweite der beiden Forums-Beiträge des französischen Regisseurs Jean Paul Civeyrac, ist einer dieser verstörenden Hybride, denen man im ersten Moment nicht so recht trauen mag. „Ein Film über die Liebe in unserer Zeit“ lautet großsprecherisch der Untertitel – das klingt schwer nach Houllebecq und posthumanistischen Konsorten. Aber in Civeyracs Film sind die Depressionen noch ehrlich und existenziell.

„Fantômes“ ist ein Horrorfilm über die Liebe kurz nach dem Ende eines unmenschlichen Jahrhunderts; auf solch überlebensgroße Kontexte will der Film mit jeder Einstellung hinaus. Paris ist hier nicht mehr die Stadt der Liebe, obwohl alle ihr hinterhertrauern oder an ihrer Unmöglichkeit zerbrochen sind, sondern ein pittoreskes Zombietown – wenn man es für pittoresk hält, wie Lars von Trier mit „Element of Crime“ das Bild der europäischen Metropole apokalyptisiert hat. Ein schales Graugelb liegt auf den Bildern, das klamme, rheumatische Gefühl von Dauerregen in der Luft. Mouche, Antoine, Camille, Viviane, Solange, Philippe – sie alle suchen nach dem Licht, müssen sich aber mit der natürlichen Wärme des Kerzenscheins begnügen. Willkommen in der Zeit vor dem Ende!

Paris wird von einem seltsamen Phänomen heimgesucht: Menschen verschwinden spurlos von den Straßen, ohne Nachricht zu hinterlassen, ohne Freunde zu informieren. Zurück bleibt ihre Kleidung, so als wären ihre Träger in all dem Vergessen in ein Stadium der Nicht-Existenz übergegangen. Die Nachrichten von vermissten Personen häufen sich, langsam wird die Stimmung in der Stadt unruhig und hysterisch. „Fantômes“ erzählt von Menschen, die den Zustand des Verschwindens geradezu herbeisehnen, und Menschen, die den Tod nicht mehr akzeptieren wollen. Aber „Tod“ gibt es sowieso nicht mehr. Genauso wenig wie das Gefühl des eigenen Körpers noch Gewissheit verschafft. Er bleibt immer nur Projektionsfläche des Begehrens. Da kann er auch noch so viel bluten.

Das Panoptikum zerbrochener Beziehungen, das sich nur mühsam zu einem Film fügt, sollte die ganz große Parabel auf das Scheitern des Wahnsystems „Liebe“ werden. Civeyrac aber hat seinen Film auch eine „metaphysische Orgie“ genannt, was die eigentliche Qualität von „Fantômes“ beschreibt. Denn weit zwingender als sein tiefspuriger Symbolismus sind die Räume des klassischen Mystery/Gothic-Horrors, die er mit seinen körnigen Bilder kadriert. Auf der Tonspur verschiebt Civeyrac seinen Symbol-Overkill komplett in einen Bereich des Imäginären: Die Spinett-Klänge vergilbter Kompositionen aus einer Ära großbürgerlicher Dekadenz sind letzte Zeugen eines anachronistischen Spiritualismus.

Der Ton in „Fantômes“ ist wichtig: das unscharfe, atmosphärische Brummen, die Überpräsenz von Kleinstgeräuschen, das schwere Atmen im Augenblick sprachloser Emotionalität – alles verdichtet sich zu einem klagenden Aufbegehren aus dem Reich des sechsten Sinns. In der beängstigendsten Szene des Films wird Viviane in ihrer Wohnung von den Geistern ihrer verstorbenen Liebhaber heimgesucht. Auch Mouches Geister kehren zurück: ihr Freund Bruno, der bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Antoine dagegen wird seine gar nicht mehr los, so sehr er sich bemüht. Und in einem Mietshaus in den Randbezirken von Paris verkauft eine Prostituierte ihren Körper als Schutz gegen das Verschwinden. Die unheimliche Illusion, nicht mehr allein zu sein, ist zum wahren Horror geworden.

„Fantômes“. Regie: Jean-Paul Civeyrac. Frankreich 2001, 90 Min.