salt and pepper
: Schily, Hanni und Ronny

Knorzige Sentimentalität

Erleichterung machte sich breit, als der erste Satz, den Innenminister Otto Schily bei der Pressekonferenz im Deutschen Haus von Salt Lake City äußerte, nicht lautete: „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass NOK-Präsident Walther Tröger seit 1953 ein V-Mann des Verfassungsschutzes ist.“ Nachdem dieser Kelch am deutschen Sport noch einmal vorübergegangen war, konnte man sich angenehmeren Dingen zu wenden. Dem Bundesgrenzschutz zum Beispiel, über den der Minister derzeit erheblich lieber redet als über den Verfassungsschutz. So häufig erwähnte er die Verdienste dieser Organisation um den Lebensunterhalt der Sportler des Landes, dass man meinen konnte, in eine Pressekonferenz des BGS und nicht des NOK geraten zu sein.

Zweieinhalb Tage weilte Schily in Salt Lake City, wobei er einen vollgestopften Terminkalender abarbeitete, sich mit IOC-Größen wie Präsident Jacques Rogge oder Richard Pound, Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, zu gewichtigen Gesprächen traf, im olympischen Dorf herumscharwenzelte, Skispringen, Eisschnelllaufen, Eishockey guckte und es sichtlich genoss, lauter Leute zu treffen, die ihm mit Ehrerbietung begegneten, sich freuten, ihn zu treffen, oder doch wenigstens nicht mit offener Ablehnung reagierten. Den Goldgewinn von Claudia Pechstein hat er miterlebt und auch den Silbersprung von Sven Hannawald. Dass er vor Ort war, hatte für ihn den Vorteil, dass er keine Glückwunschfaxe schicken musste wie Bundespräsident Rau, und für Sven Hannawald den Vorteil, dass er nicht genötigt wurde, diese öffentlich vorzutragen.

Aber Hannawald ist einiges gewohnt, spätestens, seit er bei Günther Jauch in „stern-tv“ schlüpfrige Fanpost pflichtschuldigst bekichern musste, und also erfüllte er die Vorleseaufgabe klaglos, wenn auch mit leicht deprimiertem Gesichtsausdruck. Neben ihm saß, ganz verkörperte Würde, der Bundestrainer Heß, der das Team lobte, Martin Schmitt sein Vertrauen aussprach und guter Dinge für die weiteren Wettkämpfe ist, vor allem, was das Mannschaftsspringen betrifft, nachdem die Österreicher so saumäßig schlecht von der 90-Meter-Schanze gehupft sind. Aber, sagte der professionelle Mahner Reinhard Heß: „Abschreiben würde ich sie nicht.“

Zunächst ist morgen (16.30 Uhr) aber erst mal das Springen von der Großschanze an der Reihe und da sollen sowohl Martin Schmitt als auch Sven Hannawald das nachholen, was am Sonntag noch nicht so recht klappte. „Ich hatte zwei sehr gute Sprünge, das Einzige, was nicht passte, war, dass es eine 90-Meter-Schanze war“, sagte Hannawald über den Wettkampf, bei dem ihm der leichtere Schweizer Ammann das Gold entwendete. Dem Seriensieger des Jahres liegen die größeren Schanzen mehr, dennoch schränkte er sofort ein: „Das heißt nicht, dass es auf der großen nur Gold sein kann. Da gibt es wieder 49 andere, die was dagegen haben.“

Die Erwartungen wird er damit kaum dämpfen können, aber dafür hat er seit Beginn dieses Winters ein Methode entwickelt, dem Druck auszuweichen: „Das blocke ich einfach ab.“ Verdrängung als Befreiung ist sein Erfolgsrezept, das zumindest nach seiner Theorie auch in Salt Lake City funktioniert hat. „Bei solch einem Event ist es wichtig, überhaupt eine Medaille zu gewinnen, welche, ist mir eigentlich egal“, erläuterte Hannawald seine Auffassung von olympischer Metallurgie. Auch Reinhard Heß wurde nicht müde, den Wert des Silbers zu loben, und bei der Schilderung der Begeisterung im Trainerstab sogar ein wenig rührselig, auch wenn es eine ziemlich knorzige Variante von Sentimentalität war. „Wir haben auch mal ’ne Träne verloren“, verriet der Bundestrainer, „uns auch mal gedrückt, obwohl wir sonst gestandene Männer sind.“ Nicht auszudenken, wozu sie fähig sein könnten, wenn es tatsächlich noch Gold wird.

Etwas ins Hintertreffen im allgemeinen Jubeltrubel um Pechstein und Hannawald geriet der arme Kombinierer Ronny Ackermann, der knapp an der Medaille vorbeigeloipelt war. Auch er bekam jedoch noch seinen Glückwunsch von Otto Schily und durfte sich durchaus angesprochen fühlen, als dieser das „großartige Auftreten der Mannschaft als Sympathieträger für unser Land“ lobhudelte, um majestätisch hinzuzufügen: „Darüber freuen wir uns als Sportminister am meisten.“

MATTI LIESKE